Kommentar
Kommentar vom 10.05.2002
Fragen und Folgen - Sicher, der Amoklauf des Robert Steinhäuser war ein entsetzliches Ereignis, und die Opfer haben mein volles Mitgefühl. Und es war zu erwarten, dass die Pressemeute sich gierig auf dieses marginale Ereignis stürzen, dass seitenlange, oftmals nichtssagende Statements zu Schulalltag, Gewaltspielen und Verantwortungszuweisungen die Zeitungen dominieren und dass die politische Prominenz sich kameragerecht in Szene setzen würde. Und dass das
MDR-Fernsehen bei der aktuellen Berichterstattung durch seinen Frontmann Kenntemich mehr als peinliche Patzer fabrizierte, sei nur am Rande erwähnt.
Doch bei alledem sind Fragen vernachlässigt worden, die eigentlich schon nach dem Interview mit dem Geschichtslehrer Heise überfällig waren. Fragen nach dem Polizeieinsatz, ob der eingeschlossene Täter bei anderer Reaktion der Sicherheitskräfte nicht lebendig hätte dingfest gemacht werden können und ob sich die Direktorin des Gutenberg-Gymnasiums korrekt verhalten hat, oder aus Feigheit den Tod einiger ihrer Kollegen in Kauf nahm.
Wer will nach einem solchen Ereignis richten? Sicher ist der Besserwisser-Zeigefinger fehl am Platz, denn niemand kann voraussagen, wie er in solchen Extremsituationen reagiert. Doch Fehlverhalten in verantwortlichen Positionen sollte zumindest benannt werden.
Die Ermittlungen werden zögerlich geführt, es gibt in Erfurt keine Präzedenzfälle und viele Verwirrungen. Die Hoffnung aber, dass die Zeit es richten, und eventuelles Fehlverhalten im Laufe der Zeit vertuscht werden kann ist trügerisch.
Denn Erfurt wird weltweit auf Jahre hinaus ein Synonym für den Schul-Amoklauf bleiben, und das schadet dem Image der Landeshauptstadt enorm. Sollten jetzt die Erfurter Ermittlungen auch noch ins Zwielicht geraten, wären die Folgeschäden irreparabel.
(Matthias Huth)