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Kommentar

Kommentar vom 31.10.2003

Ein Denkmal - Da standen wir im nasskalten Regen des Novembers im Weimarhallenpark, und wir hofften, dass ein Wunder käme. Ein kleiner frierender Haufen von Künstlern, Verlierern, Trinkern, Hausphilosophen, Gelegenheitskellnern und anderen Nachtgestalten. Kein starker Lobbyverein mit finanzträchtigen Wichtigtuern, eher eine kreative Gärmasse, ein verlässlicher Indikator einer Stadt, welche sich im selbigen Jahr als Kulturhauptstadt feierte.

Wir alle wünschten uns, dass unser kleiner, ungehörter Protest die Schließung des Lesecafes verhindern möge. Doch die Stadtmacht hatte in Bürgermeister Friedrich Folgers Namen und Interesse gesprochen, die ehemalige Wohnung des Bertuchschen Gärtners und damalige Szenekneipe sollte einem gastronomischen Investor weichen, der daraus ein Edelrestaurant zaubern wollte.

Als ich 1999 nach Weimar kam, war das Lesecafe ein wunderbarer nächtlicher oder nachmittäglicher Treffpunkt, ein gemütliches, chaotisches Konglomerat aus Tresen, abgeschabten Sesseln, zerkratzten Tischen und mit zerlesenen Büchern gefüllten Regalen, offiziell unbeachteten Ausstellungen und einem verstimmten Klavier. Es war eine kleine Welt, in der man dieses bereitgestellte Reservoir an Lesestoff auch wirklich nutzte, bei meistens zuviel Alkohol diskutierte über das Wohl und Wehe der Stadt oder in stillen Ecken die Bilderwelten, Live-Sessions oder Parkausblicke genoss. Es war mein erster herzlicher Kontakt zu Weimar, man wurde als Fremder neugierig aufgenommen und eingeschlossen, mit Informationen versorgt und auch im Laufe des Tages auf der Straße erkannt.

Ende 1999 wurde das Lesecafe aus formal vorgeschobenen Gründen geschlossen und jedes Mal wenn ich den Weimarhallenpark durchquere, beschleicht mich ein wehmütiges Gefühl, und das nicht nur im November. Das Haus ruht und verfällt vor sich hin, die Zukunft als Verwaltungsstelle oder Edelkaschemme bleibt undefiniert. Sicher wird das Lesecafe nicht in den Stadtgeschichtsbüchern Platz finden, und die gute Tresen-Seele Helga bietet in der Geleitstra§e dem vertriebenen Stamm eine fast adäquate Alternative.

Aber für mich bleibt das Lesecafe ein inneres Denkmal Weimars, und wenn das Stadt- und Bienenmuseum zu neuem Leben erwachen sollten, dann könnte man vielleicht auch wieder mal von den ollen Bücherregalen und dem Blick über den Teich träumen.

(Matthias Huth)

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