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Kommentar

Kommentar vom 27.03.2008

Was kostet Theater? - Einundzanzig Millionen Euro im Jahr bekommt das Deutsche Nationaltheater Weimar, rund 80 Prozent davon vom Freistaat Thüringen, der jetzt auch die Aufsicht über die Künstler führt, die dafür ihr Haus seit Januar Staatstheater nennen dürfen. Heißt das, daß nun auch „Staat“ mit dem Theater gemacht werden kann? Der Etat ist im Vergleich zu anderen Staatstheatern gering.

Wieviel Geld muß der Besucher auf die Subventionen drauflegen, wieviel an der Kasse dazubezahlen, um “richtiges“ Theater sehen zu können. Wo es was zu schauen gibt, wenn der Vorhang aufgeht, in dem die Schauspieler noch das Geschehen bestimmen, Darsteller aus Rollen Menschen machen, die uns was zu sagen haben? Wo Stücke von Regisseuren inszeniert werden, die sich dem Autor verpflichtet fühlen, weil sie ihn lieben, die ihn lieben, weil er ihm was zu sagen hat. Regisseure, die es verstehen, den dramatischen Konflikt eines Stückes zu erkennen und dazu eine spannende Geschichte erzählen können, die Szenen aus ihren Drehpunkten heraus entwickeln, die die Rollen des Stückes in ihrer Bedeutung erkennen und schließlich mit den Schauspielern Figuren entwickeln, die Darsteller dabei führen und deren Können entfalten. Kurz: Stücke, die vom Liebhaber des Autors und vom Freund des Schauspielers erarbeitet werden; Schauspiele, die diesen Namen verdienen.

Noch ganz unter dem Eindruck der beiden Faust-Abende möchte man schon fragen, was es gekostet hätte, einen „richtigen“ Faust auf die Bühne zu stellen? Oder haben wir für unseren bescheidenen Eintritt keinen Anspruch auf das ganze Theater? Eine „Annäherung an den Text“ der Tragödie erster Teil. Eine „Goethe-Lästerung“, wie ein Kritiker schrieb der Tragödie zweiter. Aus der das Publikum massenhaft geflohen ist. „Saalfeger“ war dazu auch zu lesen. Eine „Verarschung“ mit den Mitteln des armen Theaters. Ist es wirklich so arm? Man könnte auch „staatlich subventioniertes Experimentiertheater“ sagen. Etwas , was auf die Probebühne gehört oder auf zweite und dritte Spielstätten.

Nun muß man der Ehrlichkeit halber sagen, daß Häuser mit viel größeren Etats auch nicht gerade die hohen Ansprüche an eine Schaubühne erfüllen. Theater ist ja längst kein Theater mehr. Die Stücke verhackstückt, werden abstruse Einfälle gezeigt. Hamlet als depperter Clown, Tellheim im Fahrstuhl oder Schillers Räuber als Musikband. Wann hat das angefangen, daß die darstellende Kunst mit ihren Schwesternkünsten, wie Brecht sie nannte, immer mehr zerbröselte, immer mehr in die bildene Kunst abdriftete, daß Theater als Performance verstanden wird? Das Regietheater der 80er Jahre hatte noch das Verlangen, alte Stücke neu zu interpretieren, bisher Ungesehenes zu zeigen. Jetzt haben wir es wohl eher mit einem Regisseurstheater zu tun, in dem es offenbar nicht mehr um die Deutung und Erkenntnis geht, sondern um das Auffallen wollen mit einem eigenen Stil um jeden Preis. Der Regisseur zeigt uns, wie er sich in dem Stück sieht, wie sich sein Ich in dem als Material verarbeitetem Text befindet.

Zunächst fand das als „Anti-Theater“ statt, dann nannte man es „Underground“, später „Off-Theater“ und endlich „Freies Theater“. Jetzt hat es die Hauptbühnen der subventionierten Häuser erreicht. Die literarische Kultur des Theaters, der Aufklärungswille, die „Schaubühne als moralische Anstalt“ scheint nicht mehr zeitgemäß, zumindest den Machern von Theater nicht. Dem Publikum auch? Hat es auch Freude am Verkleinern oder Herabsetzen großer Figuren? Goehes Klärchen als Hure mit zerrissenen Strümpfen, Egmont als Irgendwer, Prinz von Homburg als Prolet oder hier nun, in Weimar, Faust als spillriges nacktes Jüngelchen. Oder man läßt die Protagonisten gleich ganz weg, wie im Faust II. Der Verlust an historischem Sinn – das Theater zeigt ihn nun direkt und trivial. Keine Kostüme mehr, keine Interieurs, dafür Gammellook aus dem Secondhand-Laden und entleerte Bühnengehäuse. Ganz gewiß nicht aus Ersparnisgründen. Oder doch? Die allgemeine Tendenz zur Oberflächlichkeit – gerade das Theater könnte dem doch begegnen.

Oder sollte das wirklich alles zu teuer sein?
Kostet das Schauspielensemble weniger, wenn es nicht besetzt wird? Hätte ein „richtiger“ Regisseur soviel mehr gekostet als Laurente Chetouane?

Wann gibt es am Deutschen Nationaltheater Weimar wieder eine Faust-Inszenierung, bei der man wirklich durch die kleine und große Welt geführt wird, die das pralle Menschenleben abbildet, die unterhält, wo sie belehrt, die heiter verfremdet und ironisch distanziert, die uns Spaß macht mit aktuellen Bezügen, die uns aber auch erschauern und erstaunen läßt, die tatsächlich Prospekte nicht und nicht Maschinen schont?
Wann?
Und:

Was kostet das?

(Wolfgang Kammerer)

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