Kommentar
Kommentar vom 29.10.2013
Verzichten? Ich? Warum denn? - Die Puppe war gestern auf keine denkbare Art und Weise auf das Pferd zu kriegen. Mein Kind überlegte eine Weile und hatte dann die Lösung. „Wir fahren jetzt nach Weimar und kaufen eine Puppe, die reiten kann.“ Ich war fassungslos. So perplex, dass mir nur einfiel, auf die Öffnungszeiten von Spielzeugläden zu verweisen. Später, als ich wieder normal denken konnte, zeigte ich ihr die vielen Puppen im Kinderzimmer. Aber da war sie nun wieder fassungslos. „Die können doch alle nicht reiten!“ Zur Strafe bekam sie einen – wenn auch kindgemäßen - Vortrag über Wohlstandsmüll und Konsumrausch. Kurzes Nachdenken beim Kind. Ergebnis: „Okay. Ich wünsch mir die Reiterin vom Weihnachtsmann.“ Und da sah ich die Berge von Dingen vor mir, die in den nächsten sieben Wochen gekauft, bestellt, gewünscht und bezahlt werden. Die Sucht, sich gegenseitig mit seinen Geschenken übertreffen zu müssen. Ungewöhnlich muss es sein, ausgefallen, geschmackvoll natürlich auch und bei Kindern dann noch pädagogisch wertvoll. Obwohl hier zu Lande ein 18jähriger bereits 500 verschiedene Dinge in seinem Zimmer hat. Aber – es gibt auch immer mehr Menschen, die sich dem Konsum verweigern. Sie bauen Gemüse auf den Dächern der Stadt an. Sie stellen Kleidung, Schmuck und Alltagsgegenstände aus gebrauchten Dingen her. Sie holen Lebensmittel aus den Müllcontainern der Supermärkte - prall gefüllt mit einwandfreier Ware. Sie reduzieren ihre Habe, um nur noch das Nötigste zu besitzen. Über die gesamte Republik verteilt suchen Menschen nach Alternativen. Nach einem Leben ohne zu viele Dinge. "Wir müssen uns vorbereiten auf das Leben mit weniger, damit es uns nicht so hart trifft, wenn es so weit ist", sagt der Münchner Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer. Sein Buch dazu heißt: "Das Floß der Medusa. Was wir zum Überleben brauchen." Darin heißt es: „Brachland kultivieren, Leihbörsen in der Nachbarschaft organisieren, das Fahrrad selber flicken. Viele Fähigkeiten haben wir verkümmern lassen. Wir müssen sie wiederentdecken und unsere Kreativität in den Umbau der Gesellschaft von quantitativem zu qualitativem Wachstum stecken." Durchgesickert ist die Erkenntnis schon länger. Laut der Umweltbewusstseinsstudie 2012 sind 80 Prozent der Befragten bereit, ihr Konsumverhalten zu ändern. Nur mit der Umsetzung hapert es noch. Es scheren zwar immer mehr Menschen aus, doch die breite Masse kommt nur schwer in Bewegung. Dazu kommt die Verschiedenheit der Menschen. Bei manchen schüttet das Gehirn viele Belohnungsstoffe aus, sobald sie konsumieren, bei anderen weniger. Festgelegt wird das von zwei Faktoren: den Genen und der Konditionierung in der Kindheit. Wer mit einem ausgeprägten Belohnungsbedürfnis auf die Welt kommt und als Kind den Konsumrausch der Eltern beobachtet, ist schon als Jugendlicher eingeschworen. Daran lässt sich nach dem zehnten Lebensjahr nur noch schwer etwas ändern, sagen Psychologen. Weil sich das Verhaltensmuster längst in die Großhirnrinde eingebrannt hat. Dort sind sie über das Bewusstsein kaum zu erreichen. Einsicht hilft ebenso wenig wie Abschreckung. Das Gehirn lässt sich jetzt nur noch mit Gefühlen erreichen: Vorbilder, die emotional berühren. Dazu kommt, Konsum-Verzicht ist anstrengend. Selber stricken mag ja noch lustig sein. Aber Holz hacken für den Ofen? Äpfel pressen für Saft? Walnüsse sammeln und trocknen und knacken statt einfach die Tüte zu öffnen? Dazu noch denken. Widersprüche bemerken, im Einzelfall abwägen - für den kritischen Konsumenten wird das zur Daueraufgabe. Immerhin, mit der Zeit wird es leichter. Die parfümierte Luft, die laute Musik, die Massen an Leuten und Waren, alle paar Wochen neue Farben, neue Schnitte, neue Trends. Das nervt. Verzicht auf Konsum war nie leichter als heute. Doch es kostet noch Kraft und Überwindung, es zu probieren. Nicht ohne Grund heißen wir Wegwerfgesellschaft. Der Wert von zu viel produziertem Fleisch, Brot, Obst und Gemüse liegt bei 500 Millionen Euro pro Jahr. England ist das einzige Land, das in den vergangenen Jahren den Trend zu immer mehr Müll umdrehen konnte. Inzwischen werden dort 15 Prozent weniger Lebensmittel weggeworfen. Erreicht wurde das durch intensive Öffentlichkeitsarbeit und neue Gesetze. Dafür braucht es ökologisch wahre Preise, Einfuhrzölle für besonders umweltbelastende Produkte, verbindliche Recyclingquoten, das Denken in Kreisläufen. Ob in Politik, Wirtschaft oder bei den Konsumenten selbst - der Wandel der Konsumkultur braucht Zeit. Neue kollektive Gewohnheiten müssen sich herausbilden. Und was die Reiterpuppe fürs Kind betrifft: Wir haben entschieden, sie gegen Spielzeug einzutauschen, das die Kleine nicht mehr braucht. Und sie kommentierte tapfer: „Wenn die Puppen neu sind, sind sie sowieso zu steif zum Reiten.“
(Grit Hasselmann)