Kommentar
Kommentar vom 07.01.2014
Bloß keine Kinder kriegen! - Da behauptet Antonia Baum, man müsse wahnsinnig sein, heute ein Kind zu kriegen. Und wenn man die Facebook-Kommentare dazu liest, scheint sie recht zu haben.
Deutschland und seine Zeitungen sind anscheinend voll von gestressten Müttern und Vätern, die bei dem Versuch scheitern, Beruf und Familie oder gar Karriere und Familie zu vereinbaren. Und dann wird immer nach der Politik gerufen, die aber mit ihrer großen Unentschlossenheit in Familienfragen keine Hilfe ist. Jeder kennt sie – die blassen, ständig übermüdeten frischen Eltern. Und später muss man damit klarkommen, dass es schwieriger wird, sich mit Freunden zu verabreden. Mal ist der Babysitter zu teuer, mal sind die Kleinen krank. Und manchmal haben die Freunde auch einfach keinen Bock und schieben die Kinder als Ausrede vor. Aber wo ist hier eigentlich das wirkliche Problem?
Zu allen Zeiten sind Kinder geboren worden. Nur wurde noch nie so viel gejammert wie heute. Krieg, Krankheiten, Weltwirtschaftskrise - die "jungen" Paare von heute wissen anscheinend nicht mehr, was wirkliche Schwierigkeiten sind. In meinem Leben gab es auch Krisen. Aber sie hatten nie mit meinen Kindern zu tun. Kinder sind ganz normal. Manchmal schwierig, manchmal nicht. Und natürlich muss man sich einschränken, wenn man für eine ganze Familie verantwortlich ist, statt nur für sich selbst. Aber das eigentliche Problem ist der Egoismus, der dieses Einschränken zum Opfer, zur Katastrophe macht. Vielleicht hängt die große Unzufriedenheit damit zusammen, dass die Selbstverwirklichung, die Gestaltung und Optimierung des eigenen Ichs jungen Erwachsenen heute als ein zentraler Wert vermittelt wurden. Wenn ich das schon höre: „Für mein Kind habe ich auf eine Karriere verzichtet.“ Heißt das, alle diese schimpfenden, überforderten Frauen wären Top-Managerinnen oder Superstars, wären sie nicht schwanger geworden? Heißt das, fehlende Ganztagsschulen und Kita-Plätze verhindern eine Gleichberechtigung der Geschlechter? Blödsinn. Hier will eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen den Kuchen behalten und gleichzeitig essen. Wer hat jemals behauptet, Gleichberechtigung bedeutet, dass Frauen alles auf einmal haben können? Es geht darum, dass wir die gleichen Möglichkeiten haben müssen wie die Männer. Aber niemand nimmt uns die Entscheidung darüber ab, was wir tun. Ich kann heute studieren. Ich kann Karriere machen. Wenn ich gut genug bin oder schön genug, wenn ich es durchhalte und vor allem, wenn ich es wirklich will. Natürlich kann ich nicht nebenbei noch eine tolle Mutter sein. Auch das nämlich fordert mich ganz. Was nicht heißt, dass ich dafür alles aufgeben muss. Ich arbeite beispielsweise glücklich in einem Beruf den ich liebe. Und ich habe zwei tolle Töchter. Gut - ich verdiene sicher nur ein Drittel des Geldes meiner kinderlosen Kolleginnen. Aber das war meine Entscheidung. Daran sind nicht die Kinder schuld. Und da haben wir das nächste Problem: das Geld. Und ich meine jetzt nicht das Kind als Kostenfaktor. Nein, ich meine die persönlichen Ansprüche an Konsum, Luxus oder Lebensweise. Auch darüber entscheide ich selber. Natürlich muss das gut verdienende Akademiker-Paar sich einschränken, wenn ein Gehalt wegen eines Kindes wegfällt. Und wenn man sich nicht einschränken will, beginnt der Stress. Au pair, Kita, Babysitter. Und das kostet wieder. Womit sich die gestressten Eltern natürlich im Kreise drehen. Am Ende ist das Ganze doch eine einfache Frage: Was will ich im Leben? Welche Werte sind mir wichtig? Und wenn es die Karriere, die große Wohnung und die Weltreisen sind – kein Problem. Und wenn es die Familie, die kleinen Fluchten, die Kissenschlachten und die 25 000 Warum-Fragen sind – auch kein Problem.
Nur, lasst euch doch nicht vormachen, dass beides geht. Bei 100 Prozent ist Ende. Und jeder Mensch muss für sich ganz allein entscheiden, wie er die Bereiche seines Lebens aufteilt. Wo das schräge Ideal-Bild von 100% Mutter plus 100% Job herkommt, konnte meine Recherche leider nicht ergründen. Vereinbarkeit von Beruf und Familie bedeutet nämlich nicht, dass jemand alles stemmen können muss. Das bedeutet nur, dass jede Frau die Wahl haben muss. Und Sprüche wie: „Eine richtige Frau muss Kinder kriegen. Sonst stimmt irgendwas nicht mit ihr“ gehören bekämpft. Ich möchte nämlich nicht wissen, wie viele schlechte Mütter und unglückliche Frauen dieser Blödsinn hervorgebracht hat. Und vor allem – wie viele unglückliche Kinder.
(Grit Hasselmann)