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Buchrezension

Buchrezension vom 13.01.2014

Michael Streissguth – Johnny Cash at Folsom Prison – Die Geschichte eines Meisterwerks - Es war im Jahr 1968 als Johnny Cash in den Vormittagsstunden des 13. Januar die Bühne im Speisesaal des Folsom-Gefängnisses in Kalifornien betrat. Vor ihm saß eine gespannte Zuhörerschaft, die erhoffte für die Dauer zweier Stunden aus dieser Strafvollzugshölle befreit zu werden.
Das Konzert von Johnny Cash wurde damals aufgezeichnet und es wurde in der Folge zu einem der legendärsten der Rockgeschichte. Alles nur ein Mythos?

Michael Streissguth ist Musikjournalist und bekennender Johnny Cash-Fan. Und, er hat eines der schönsten Rock'n Roll-Bücher der Welt geschrieben.
Es ist so und ich kann nicht anders. Meine eigene Affinität zu Johnny Cash hält sich eigentlich in Grenzen. Gut, ich freue mich wenn Cash in meinen Radiosendungen oder Abends in der Kneipe läuft. Manchmal höre ich ihn auch wenn ich mit dem Auto unterwegs bin, doch damit ist es eigentlich auch schon genug. Abgesehen davon, dass ich gehört habe, dass Cash als das soziale Herz der Countrymusik gilt, wusste ich nicht viel über ihn, außer, dass er irgendwann mal ein Album in einem Gefängnis aufgenommen haben soll. Nun, nicht schlecht.
Das Buch von Michael Streissguth jedenfalls hat meine Haltung gegenüber Cash stark verändert.
Nur sechs Jahre nachdem in Landsberg am Lech mehrere Konzentrationslager von den amerikanischen Truppen entdeckt worden waren, kam Johnny Cash mit seiner Air Force- Einheit als Funker nach Deutschland. Mit einigen Kameraden begann er Musik zu machen, meist Gospel oder Blues zu spielen und irgendjemand nannte die Band „The Landsberg Barbarians“.
Dies ist für das spätere Konzert im kalifornischen Folsom-Gefängnis vielleicht nicht wirklich wichtig. Vielleicht aber doch, denn in dieser Zeit entdeckte Cash sein Talent für das Liederschreiben und tatsächlich entstand nach dem Truppen unterhaltenden Film „Inside the Walls of Folsom Prison“, einem echten Hollywood-B-Movie, Cashs legendärer „Folsom Prison Blues“, jener Song also, der viele fortan Glauben machte Cash habe seinerzeit tatsächlich jemanden erschossen und habe deshalb selbst hinter Gittern gesessen. Ein legendäres Lied eben.

Und es geht weiter mit den Legenden um dieses Album, welches Cash am 13. Januar 1968 im Folsom-Gefängnis aufgenommen hat. In überaus unterhaltsamer Weise erzählt Streissguth die gesamte Vorgeschichte dieser Aufnahme, angefangen von der Idee bis zur Umsetzung und darüber hinaus, der Bedeutung dieser Schallplatte für die Person und den Künstler Johnny Cash.
Streissguth hat für dieses Buch ohne ende Interviews geführt, er hat Menschen aufgesucht, die damals dabei gewesen sind, Menschen, die entweder im Polizeidienst standen, Menschen, die Cash auf seinem Weg begleitet haben und Menschen, die damals eben vor der Bühne an den zahlreichen Tischen des großen Speisesaales saßen und – vermeintlich – so manchen derben Ausdruck in Johnnys Songs mit einem Juchzen honorierte. Die Juchzer waren echt, aber, so erfahren wir, nicht immer sind sie auf der Platte auch dann zu hören, wo sie tatsächlich ausgestoßen wurden. Alles ein großer Fake also?

Bei weitem war das Konzert von Cash und seinen Mitstreitern kein Fake, sondern für damalige Zeiten ein unerhörtes Novum. Ein namhafter Künstler anerkennt die Existenz der Schlimmsten der Schlimmen, jener Gewächse, welche für den Rest der Gesellschaft eigentlich nicht existent sein sollten. Und nun kommt der daher und lässt sie auch noch zu Wort kommen dabei. Ein Skandal? Eine Revolution? Letzteres ist eher für diesen Fall anzunehmen. Auf jeden Fall ist Cash mit diesem Album eines der bemerkenswertesten Werke der neuzeitlichen Musikgeschichte geglückt. Und das ein solches Werk einiger eher kleiner dramaturgisch-kosmetischer Eingriffe bedarf, ist beinahe logisch und nicht weiter schlimm, bedenkt man die heutigen Möglichkeiten in der Studiotechnik und selbst beim Liverecording. Das Buch ist also enthüllend wie auch erhellend, denn es führt, ich sage es nochmal, absolut kurzweilig durch ein Stück Musikgeschichte welche schon aufgrund ihres Spielortes für viele Mythen und Legenden sorgt. Ganz nebenbei erfahren wir wunderbare oder einfach witzige Anekdoten. Glen Sherley zum Beispiel, Gefangener in Folsom hatte vom anstehenden Konzert gehört, ein Lied auf einer Kassette aufgenommen und diese über den Pfarrer aus dem Gefängnis schmuggeln lassen. Und Cash verewigt Sherley auf seinem Album. Oder Marshal Grant, der Bassgitarrist entdeckt im Backstage in seinem Gitarrenkoffer einen riesigen Ballermann – mitten im Hochsicherheitsgefängnis.
Gewürzt ist Streissguths Buch mit einer Anzahl außerordentlicher Fotos, welche die gesamte Geschichte dokumentieren. Insbesondere die Innenansichten des Folsom-Gefängnisses, des Backstage-Raumes und des Speisesaales, dem Hauptort des Geschehens, die mehr oder weniger angespannten Gesichter von Cash oder auch von June Carter und aller Akteure, „Johnny Cash at Folsom Prison – Die Geschichte eines Meisterwerkes“ ist für mich das schönste Rock'n Roll-Buch der Welt geworden. Und dass ich nach der Lektüre diese Aufnahmen hören wollte, das brauche ich ja wohl kaum noch zu erwähnen. Es gibt Mechanismen auf der Welt, die funktionieren eben wie sie funktionieren. Und so darf man die zitierte Bemerkung auf der Rückseite durchaus wörtlich nehmen: „Dieses Buch ist auch denen zu empfehlen, die keine Lust mehr haben, irgendetwas über Johnny Cash zu lesen“.

„Johnny Cash at Folsom Prison – die Geschichte eines Meisterwerks“ heißt das Buch von Michael Streissguth. Die deutschsprachige Ausgabe des 2004 in den USA erschienenen Bandes ist 2012 im Verlag Rogner und Bernhard veröffentlicht und kostet im Handel 14.95 Euro.

(Shanghai Drenger)

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