Hörbuchrezension
Hörbuchrezension vom 14.01.2014
"1913 - Der sommer des Jahrhunderts" von Florian Illies - Shanghai Drenger:
Das Jahr 1913 gehört ja nicht gerade zu den großen historischen Jahreszahlen, die man so auf den Schirm hat, wie z.B. 1945 oder 1968 ... ? Was ist das Besondere an 1913?
Sophia Springer:
Ein Jahr zuvor sank die Titanic - und ein Jahr später, exakt vor 1oo Jahren, begann im Sommer der 1. Weltkrieg. Bei einer Umfrage nach Geschehnissen im Jahr 1913 würden die Menschen wohl großteils ratlos mit den Schultern zucken. Aber (und damit steig ich gleich ins Hörbuch ein) 1913 war echt was los! Da ging sozusagen die Post ab - und zwar in Wissenschaft, Kunst und Kultur - auch wenn das in den Geschichtsbüchern nicht ganz so formuliert ist. Und schon sind wir mittendrin in einem von Florian Illies leuchtend bunt gepinselten Gesellschaftsgemälde jener Zeit, welches er mit wunderbar geschwungenen Sätzen zu formulieren weiß – und das, ohne dabei verschwurbelt daher zu kommen. Er weiß überhaupt recht gut, die Worte so zu setzen, dass man tatsächlich auch gern an der Geschichte dran bleibt und zuhört - sein beruflicher Werdegang bei FAZ, Zeit & Co. mögen da mit Sicherheit dabei behilflich gewesen sein. Zur Geschichte selbst: Illies beschreibt das komplette Jahr 1913 relativ chronologisch (beginnend mit dem Januar) mit seinen historischen Begebenheiten, welche mit diversen (heute eher mehr, damals eher weniger) bekannten Personen verquickt sind. Also recht unterhaltsame Berichte über die VIPs jener Zeit ...
Shanghai Drenger:
Also eigentlich eine Boulevardzeitung von 1913 „zum Hören“ ?
Sophia Springer:
Naja, fast. Ich glaube kaum, dass sich die BILD-Zeitung je mit z.B. Adorno oder Horkheimer inhaltlich befasst hätte. Das Niveau ist dann doch ein höheres ...
Ganz abwegig ist dieser Gedanke jedoch nicht, zumal oft menschliches, allzu-menschliches, über die Protagonisten verlautbar wird. Später wurden die ja erst so gnadenlos auf den Thron gesetzt (der heute höher denn je steht) – ich denke da an Freud, an Picasso oder eben auch Kafka... Was mir positiv dabei auffiel, war, dass Illies es schafft, sich nicht zu verzetteln, das „Große & Ganze“ im Auge behält und Kunst und/oder Wissenschaft im Kontext seiner Zeit und Zeitgenossen beleuchtet. Das ist definitv auch die Stärke des Hörbuches..
Shanghai Drenger:
Hat das Buch denn auch Schwächen ?
Sophia Springer:
Meines Erachtens: ja. So bunt und unterhaltsam dieses Potpourri an Geschichten dieser Zeit auch ist (und es kommt als leichte Kost, die durchaus auch bildend wirken kann, daher) es kann einen auch recht schnell anstrengen, denn einer wirklichen Geschichte folgt man hier vergebens; es gibt keinen roten Faden dazu, vielleicht ist der auch gar nicht so gewollt. Auch das iIlies sich eher auf die ganz wichtigen Personen zwar stürzt, den politischen Kontext offenbar aber nur anschneidet, wenn es nicht zu umgehen ist, stört mich ein bisschen.
Kurzum: das Hörbuch besteht aus einer Anreihung vieler (durchaus interessanter) Begebenheiten und Anekdoten, oft auch „Anekdötchen“, die allerdings in ihrer Vielfalt und Dichte derart auf einen einstürmen, dass man die vorvorletzte oder eben gehörte auch mal ganz fix wieder vergessen hat, weil sie schon von der nächsten, ganz anderen, verdrängt wurde. Daher mein Tipp: nicht komplett an einem Stück durchhören – lieber Peue á Peue immer mal so 1o Minuten hören (z.B. in unserer Lesung jeden Morgen bei uns auf Radio Lotte Weimar um 5 vor halb 1o).
Shanghai Drenger:
Kannst Du uns noch etwas zu Florian Illies und zum Sprecher des Hörbuchs selbst erzählen ?
Sophia Springer:
Fangen wir bei Illies an: der ist noch nicht ganz 43 Jahre alt, hat Kunstgeschichte und neuere Geschichte studiert (tataa: was dem Hör-Buchinhalt durchaus gut entgegenkommt) und absolvierte eine recht steile Journalisten-Karriere bei „FAZ“ und „Zeit“ (wie schon erwähnt). Bekannt wurde er mit den Büchern „Generation Golf“ im Jahr 2ooo und „Anleitung zum Unschuldigsein“ ein Jahr später. (Bücher, die mich aus irgendeinem Grund nicht interessierten, muss ich zugeben …) Mittlerweile soll er wohl auch als Kunstkenner und -Händler gut unterwegs sein.
Der fast 50-jährige Stephan Schad ist der Sprecher des Hörbuches, ist nicht nur Hörbuchsprecher, sondern auch Synchronsprecher und Schauspieler und ist evt. dem einen oder anderen als Darsteller in diversen Krimis, wie z.B. im „Tatort“ bekannt.
Ganz subjektiv mag ich seine Stimme sehr: mit diesem angenehmen, unaufgeregten, männlichen Timbre – die einen guten Gegenpol zu den recht aufgeregten Begebenheiten im Jahr 1913, die mit dieser Stimme beschrieben werden, aufbaut. Ich würde mal frech behaupten: Eine gute Sprecher-Auswahl .
Florian Illies Buch „1913 - Der Sommer Des Jahrhunderts“, welches 2o12 im FischerVerlag erschien; das Hörbuch dazu erschien' kurz darauf im Audio Verlag (dav) - und gelesen wird es vom Schauspieler und Synchronsprecher Stephan Schad. Insgesamt sind das auf 5 CDs gebannte 380 Hör-Minuten, die im entsprechenden Geschäft so um die 20 Euro kosten.
(Sophia Springer)