Kommentar
Kommentar vom 17.12.2008
Glaube, Gleise, Hoffnung - Der Hundertjährige Kalender verzeichnet den Bau eines neuen Bahnhofs. Zumindest, wenn man dem Konzernbevollmächtigten der Deutschen Bahn AG für Thüringen Glauben schenken darf. Mit stolz geschwellter Brust verkündete er bei der feierlichen Eröffnung des Erfurter Hauptbahnhofs, dass ein solcher eben nur alle einhundert Jahre errichtet würde. Da sich der Ausbau der Mitte-Deutschland-Verbindung verzögern wird, glauben wir ihm das mal und an andere zeitliche Dimensionen. Die hoben sich im religiösen Bereich schon immer vom Alltag ab. Besagter Hauptbahnhof wurde ja auch mit einem ökumenischen Gottesdienst eröffnet, was uns endgültig zu einem anderen Umgang mit der Bahn bewegen sollte.
In Demut und Hoffnung sollten wir den Fahrplanwechsel, verbunden mit einer saftigen Preiserhöhung, hinnehmen.
Das Credo des Hohepriesters der Gleis- und Signaljünger Bruder Mehdorn: „Ihr könnt nicht dem Fahrgast dienen und dem Mammon“ müsste doch auch dem letzten Atheisten unter uns einleuchten.
Und so sei gerade in der Adventszeit dem zagenden Zugfahrer angeraten, seine Seele nicht von defekten Fahrkartenautomaten, unfreundlichem Bahnpersonal und ewigen Warteschlangen an den Auskunftsaltären verderben zu lassen. Denn wer von ihnen ohne Kleingeld ist, bekommt nicht den ersten Fahrschein.
Auch wir Weimarer sollten jauchzen und frohlocken, dass wir in naher Zukunft vom ICE-Netz verschont bleiben und unsere Wallfahrten statt dessen mit ein paar Minuten schnelleren Regionalbahnen antreten können. Erhalten wir doch mit einer zusätzlichen Umsteigemöglichkeit noch mehr Zeit zur inneren Einkehr und Besinnung.
Auch der Begriff „Advent“ - „Er wird kommen“ erfährt eine völlig neue Bedeutung. Der Zug? Der Ticketaufschlag? Der ist jedenfalls so sicher wie das Amen in der Kirche.
Aber jenen, die sich ob der 3,9%igen Preiserhöhung grämen sei das Matthäus-Evangelium, Kapitel 19 Vers 24 ans Herz gelegt:
„Und weiter sage ich euch: Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, denn dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.“
Auch wenn er da gar nicht hin will und auch nicht durchs Nadelöhr sondern einfach nur schnell und günstig nach Leipzig.
Die Armen im Geiste, also der Bahnvorstand, sorgen sich also um unser aller Seelenheil und für Ebbe im Portemonnaie. Hosianna.
Und so warten wir weiterhin mit Engelsgeduld auf Erleuchtung des Bundesverkehrsministers, dem ein politisches Pfingstfest zu Teil werden und er endlich den gesamten Bahnvorstand zum Teufel schicken möge.
Denn, so das Alte Testament: “Siehe, wer halsstarrig ist, der wird keine Ruhe in seinem Herzen haben; der Gerechte aber wird seines Glaubens leben.“
(Michael Schlag)