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Kommentar

Kommentar vom 09.12.2008

Vorwärts in die Zeit zurück vor Bismarck - Vom 1. Januar 2009 an sollen in Deutschland kirchliche Hochzeiten ohne vorherige Trauung beim Standesamt möglich sein. Dies ergibt sich aus einer von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkten Änderung des Rechts der Eheschließung. Sie hat zur Folge, dass nicht nur eine kirchliche Voraustrauung, sondern auch eine Ehe ohne den Gang zum Standesamt möglich ist.

Seit Einführung der Zivilehe in Deutschland 1875 musste die standesamtliche Hochzeit der kirchlichen vorausgehen. Geistliche wurden bestraft, falls sie sich nicht daran hielten. Ursprünglich wurde den Pfarrern drei Monate Haft angedroht. Zuletzt war die kirchliche Voraustrauung in der Bundesrepublik aber nur noch eine Ordnungswidrigkeit ohne Sanktionen.

Als ich im Sommer oben erwähnte „frohe Kunde“ vernahm, rieb ich mir verwundert die Augen, schaute auf den Kalender. Nein, wir hatten nicht den 1. April, es handelte sich um keinen April-Scherz...

Wenn Autoren wie Morris Berman („Kultur vor dem Kollaps“) schreiben, daß wir uns einem neuen Mittelalter nähern, dann ist eine solche bundesdeutsche Gesetzesänderung der beste Beweis für seine These. Zurück hinter Bismarck, so lautet die Regierungsdevise der heute Herrschenden, weg mit allem was nach Aufklärung und Zivilgesellschaft oder wirklicher Sozialgesetzgebung riecht!

Wobei man konstatieren muß, daß der erzkonservative Kanzler Bismarck mit seiner Sozialgesetzgebung, mit seiner antikatholischen Politik und mit der Einführung der Zivilehe (Standesämter!) keinesfalls Sozialist oder Freidenker war. Nein, Bismarck ging es allein um die Stabilisierung des Staates, um die Einbindung der Arbeitermassen in die Gesellschaft, um die Verhinderung sozialer Unruhen, um das Kleinhalten der revolutionären Arbeiterbewegung. Mit sozialen Reformen, die ihren Namen seinerzeit noch verdienten, mit der behutsamen Loslösung von einigen kirchlichen Machtansprüchen sollte die Sozialdemokratie klein gehalten werden; zu diesem Zuckerbrot kam aber auf gutjunkerliche Art noch die Peitsche hinzu: das Sozialistengesetz. Letzteres mußte fallen, die sozialen und zivilrechtlichen Reformen jedoch hatten Bestand, trotz zweier Weltkriege, Inflation und Weltwirtschaftskrise.

Es mußten erst weit über 100 Jahre später Sozialdemokraten in Regierungsverantwortung kommen, um das progressive und gesellschaftsstabilisierende Erbe Bismarcks zu liquidieren, ganz im Sinne einer kurzsichtigen Macht- und Profiterhaltung von Großaktionären und Großkirchen. So zunächst Kanzler Schröder mit seiner Agenda-Politik (Hartz-Gesetze), nun Justizministerin Zypries mit dem Vorstoß zur Aufweichung, gar Abschaffung der Zivilehe.

Wenn sich jetzt Vertreter der Großkirchen kritisch zu dieser Gesetzesänderung, zu ihrem neuen Privileg äußern, dann sollte man vorsichtig sein und bleiben... Es wird ja nicht das Privileg an sich kritisiert. Nein, nur daß diese Eheschließungen noch nicht vollwertig sind in bezug auf Unterhaltsregelungen, Erbrecht etc.

Nachtigall, ick hör dir trapsen, sagt der Berliner. Und ich befürchte schlimmes... Der nächste Schritt könnte doch, scheinheilig mit der grundgesetzlichen Gleichbehandlung begründet, eine Veränderung des BGB sein, um den Wünschen des Klerus zu entsprechen: daß Menschen wie vormals in ihren ganz persönlichen Angelegenheiten wieder voll und ganz vom Herrn Pfarrer abhängig sein werden. Denn es ist schon heute bezeichnend, daß nur noch ein Drittel aller Eheschließenden nach dem Standesamt auch noch zum Traualtar gehen...

(Siegfried R. Krebs)

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