Hörbuchrezension
Hörbuchrezension vom 19.08.2014
Auf dass uns vergeben werde - von A.M. Homes
Es gibt manchmal Geschichten, die müsste man einfach erfinden – wenn sie nicht schon jemand erfunden hätte.
„Auf dass uns vergeben werde“ von Amy Michael Homes ist so eine dieser Geschichten.
Der Anfang ist relativ banal: Harry sitzt mit seiner Frau beim Thanksgiving-Essen im Kreise der Familie seines Bruders George. Dessen Kinder Nathaniel und Ashley nerven ihn eher, Bruder George, einst auf Grund seiner schmächtigen Statur eher verhätschelt, nun als Unterhaltungschef einer TV-Station aber zu Ansehen gelangt, gibt in altkluger Weise den Gastgeber und Georges Frau Jane kümmert sich um das Wohlergehen aller. Ein beinahe typisches us-amerikanisches Klischee.
Doch schon bald brechen die Ereignisse herein, und zwar Schlag auf Schlag. George überfährt eine rote Verkehrsampel und rammt einen Kleinwagen, in dem zwei Erwachsene ums Leben kommen. Nur Ricardo, das etwa zehnjährige Kind, überlebt. George kommt ins Krankenhaus.
Währenddessen beginnt Harry mit Jane eine Affäre, die der aus dem Krankenhaus entlaufene George aber entdeckt und der wütend Jane mit einer Nachttischlampe attackiert.
Jane stirbt wenige Tage später in derselben Klinik, in der auch George nun wieder untergebracht wird. Dann wird George, der nun unter Mordanklage steht, in eine psychiatrische Einrichtung verlegt. Und obendrein wird Harry seinerseits von seiner Frau verlassen.
Harry steht nun allein da. Georges Kinder leben im Internat, doch Harry muss sich nun auch um diese kümmern, wie auch um George, dem irgendwann der Prozess gemacht werden soll, wie auch um den Hund Tessie, seine eigene Katze – und um Georges Haus, Vermögen und Anlagen. Aber damit ist es noch längst nicht genug …
Wie schon gesagt, man müsste eine solche Geschichte erfinden, denn sie steckt so voll mit unglaublichen Entwicklungen, dass man ein solches Leben kaum für möglich halten kann. Aber eigentlich muss man sich auch eingestehen, dass es vielleicht unter allen ungünstigen Umständen doch passieren kann oder könnte. Glücklicherweise ist auch Harry nicht ganz arm. Er ist Professor und lehrt an einer Universität über das Wirken des einstigen Präsidenten Richard Nixons und die Auswirkungen dessen auf die Gegenwart. Es ist, Sie ahnen es, nicht das prickelndste Fach an der Uni, weshalb es dann auch irgendwann abgesetzt wird. Harry ist in diesem Fall im besten Wortsinn freigesetzt. Er ist nicht sonderlich verärgert darüber.
„Auf dass uns vergeben werde“ ist ein großartiger Roman mit vielen überraschenden Momenten, die bisweilen für Heiterkeit oder auch Entsetzen sorgen. Nebenbei regt er gut zum Nachdenken über das eigene Leben an. Was würde ich denn in solch einem Falle tun?
Harry jedenfalls meistert den täglich vollkommen neuen Alltag bravourös.
Gelesen wird dieses Hörbuch von Jürgen Uter, der wieder einmal mit seiner dezent eingesetzten Stimmbreite brilliert. Insbesondere bei gewaltvollen Szenen gelingt es ihm durch beinahe sachlichen und keinesfalls sensationslüsternen Tonfall beim Hörer Gänsehaut zu produzieren. Es ist, als stünde man daneben.
Heute kann ich tatsächlich mal einem Hinweis auf dem Cover vollumfassend zustimmen. Salman Rushdie sagt über dieses Buch „Dieser Roman startet mit maximaler Wucht – Und dann geht’s erst richtig los!“ Recht hat er.
"Auf dass uns vergeben werde" von A.M.Homes, gelesen von Jürgen Uter
GoyaLIT/Jumobo-Verlag
6 CDs • ISBN 978-3-8337-3275-1
25,- €
(Shanghai Drenger)