Kommentar
Kommentar vom 16.09.2014
Wer die Wahl hat ... hat sie eben nicht! - Das Netz ist voll mit Wünschen für eine Koalition in Thüringen. Voll mit Vorwürfen, Jammern und Fehler-Suche. Wie am Stammtisch hat es die Netzgemeinde „schon immer gewusst, dass es so kommen müsste.“ Aber mal ehrlich – haben wir das nicht alle? Was war denn das für ein Wahlkampf? Das "Warum" des Regierens trat in den Hintergrund, Machtfragen wurden zu Sachfragen umdefiniert, Instrumente mit Zielen verwechselt. Über mögliche Koalitionen wurde spekuliert, die Parteien waren sich einig in ihrer Ablehnung der AfD. Aber wo gab es fundierte Analysen? Welche Partei zeigte die Fähigkeiten zum Denken oder gar Quer-Denken? Wo fand sich eine politische Bewegung mit Substanz?
Klar ist, dass inzwischen jeder Wähler weiß, was von Wahlversprechen zu halten ist. Aber was heißt, jeder Wähler? Mittlerweile gibt ja nur die Hälfte der Menschen ihre Stimme ab, die damals nach freien Wahlen gerufen hatten. Und überhaupt: das mit dem Stimme abgeben wird langsam traurige Wirklichkeit. Irgendwie war das doch mal so gedacht, dass ich den oder die wähle, die mich regieren sollen. Oder? Mittlerweile ist das ganze System doch auf den Kopf gestellt. Da gibt es Rechnungen im Netz, da wird einem schwindlig. Am Ende sorgt dann beispielsweise ein Grün-Wähler mit seiner Stimme dafür, dass Frau Lieberknecht im Amt bleibt. Oder es gibt einen linken Ministerpräsidenten, obwohl die CDU eine deutliche Mehrheit der Stimmen im Freistaat bekommen hat. Irgendwie schräg, oder? Und auch in den Auswertungsrunden der Wahl geht es eher um Personalien als um Inhalte. Matschie kündigt seinen Rücktritt an. Es geht um die Fraktionsspitze, um Namen für die Sondierungsgespräche. Und worum geht es dort dann? Um Inhalte? Oder darum, wer wem welche Ministerposten anbietet? Denn egal, wer am Ende in Thüringen regiert, es wird schwierig. Mit einer Stimme Mehrheit kann man kaum etwas „durchwinken“. Deshalb wirbt die CDU auch um die Grünen. Damit würde sie ein mögliches Bündnis mit der SPD stabilisieren. Aber die Grünen hatten sich im Wahlkampf für einen Wechsel an der Regierungsspitze ausgesprochen. Was ist das jetzt noch wert? Eins haben die Thüringer Parteien gemeinsam: Sie analysieren derzeit, warum die AfD ihnen so viele Stimmen abziehen konnte. Aber auch da kann die Netzgemeinde helfen: Aufrütteln wollen die Wähler, heißt es da. Protestieren gegen die Politik der Etablierten. Und mal ehrlich: Wie groß sind denn die Unterschiede in deren Auftreten? Ich war gerade in Schweden und weil auch dort gewählt wurde, gab es an jedem Mast Wahlplakate. Ich konnte an den Fotos der Politiker absolut nicht erkennen, wo sie politisch einzuordnen sind. Die gleichen Klamotten, das gleiche Lächeln. Und genauso ist es doch auch hier. Wenn man vor der Wahl Interviews gehört hat, ohne zu wissen, wer der Studiogast ist, brauchte man schon einige Zeit, bis man ihn oder sie einer Partei zuordnen konnte.
Und damit sind wir wieder bei der Wahlbeteiligung. 50 Prozent! Jeder Zweite ist also der Meinung, dass das alles irgendwie nichts bringt. Ein demokratisches Feigenblatt also.
Und bevor ich jetzt noch anfange, den Sinn oder Unsinn einer repräsentativen Demokratie in der heutigen Zeit zu hinterfragen, lieber noch eine Bitte: Liebe Thüringer Parteien, sucht euch eure Koalitionspartner nach Inhalten aus. Und nicht nach der Menge an Macht, die sie euch abzugeben versprechen. Und vielleicht erleben wir dann auch irgendwann mal eine Wahl, bei der eine Partei gewinnt. So richtig mit Mehrheiten. Und so richtig von der Mehrheit der Menschen gewählt.
(Grit Hasselmann)