Kommentar
Kommentar vom 25.11.2014
"Wer einem Bedürftigen nicht hilft, aber stattdessen Ablass kauft, handelt sich den Zorn Gottes ein" - Es begann mit einem ganz harmlosen Facebook-Post: „Ich will meiner kleinen Maus zu Weihnachten eine Freude machen, habe aber keine finanziellen Mittel. Wer hat ein paar Lego-Steine übrig?“ Was sich daraus entwickelte, war spannend. Erst gab es Seitenweise Gemecker, dass man doch keine Kinder in die Welt setzen könnte, wenn man kein Geld hat. Jeder kann ahnen, wie sich die junge Mutter daraufhin gefühlt hat. Aber dann: Hunderte Menschen verteidigten sie. Boten ihr Hilfe an. Es entstand eine neue Seite, wo bedürftige Mütter die Wünsche ihrer Kinder posten konnten und jemand anders kann sie dann erfüllen. „Weihnachtsbaum 2015“ heißt sie. Da bot eine Frau an, Adventskalender zu basteln, ein Mann wollte Holzspielzeug schnitzen, alle möglichen Mütter verschenkten das Spielzeug, für das ihre Kinder zu groß geworden waren. Dazu gab es einen Streit um Nachhaltigkeit, um den Sinn, Gebrauchte Sachen weiter zu geben. Und um Dankbarkeit, Stolz und Nächstenliebe. Erstaunlich fand ich, dass ganz oft Leute etwas verschenken wollten, die selber nicht reich sind. Der Gedanke war, Kindern aus sozial schwachen Verhältnissen ein Weihnachtsgeschenk zu machen und vielleicht Familien mit Gaben wie Weihnachtsdeko, Tannenzweigen, einem Tannenbaum, Stollen, Plätzchen, einer Weihnachts-CD oder ähnlichen Dingen zu unterstützen! Der Vorschlag war, das Ganze nett in Weihnachtspapier zu hüllen und per Post zu den Empfänger zu versenden. Darüber hinaus forderten die Initiatoren auf, den Kauf-müden Blick in die Nachbarschaft zu richten. Mit Sicherheit gibt es da überall Leute, die Hilfe brauchen. Und ist das nicht genau der Sinn des Weihnachtsfestes? Solidarität, Nächstenliebe, Wärme zu schenken? Als ich heute zum Radio ging und mich durch all die Buden schlängelte, die im Advent ihre Umsätze machen wollen, musste ich wieder über diesen Post im Netz nachdenken. Es gibt so viele Menschen, die wenig Geld zum Leben zur Verfügung haben. Zusätzliche Ausgaben, wie Geschenke an Weihnachten sind eine Belastung für diese Familien. Und egal, was man persönlich davon hält – die Kinder können nun wirklich nichts dafür. Die Eltern übrigens oft auch nicht. Und gerade zu Weihnachten haben alle Menschen ein wenig Freude nötig. In keiner Stadt in Deutschland wüsste man dies wohl besser als hier, in Weimar. Der Traum vom Weihnachtsbaum für alle Kinder wurde in Weimar zum ersten Mal verwirklicht. Längst gehört er zum Wissensschatz aller Weimarer. Er erzählt die schöne Geschichte, wie ein freundlicher Buchhändler namens Johann Wilhelm Hoffmann an einem Vorweihnachtsabend im Winter 1815/16 vor seinem Laden einen Christbaum aufstellte; den ersten öffentlichen Weihnachtsbaum für arme Kinder in einer deutschen Stadt. Dieses Zeichen der Nächstenliebe ging um die Welt und wurde an unzähligen Orten aufgenommen und nachgeahmt. Vergessen scheint dagegen, dass es nicht darum gehen sollte, immer größere und teurere Geschenke zu kaufen. Kleinigkeiten oder Selbstgemachtes können auch verzaubern – Hauptsache, der Beschenkte spürt die Liebe, die darin steckt. Noch eine Weimarer Geschichte dazu: Weihnachten 1806 nahte. Vater Johannes Falk stand vor seinen Büchern. Er suchte ein bestimmtes Buch. Da, endlich fand er es, das Buch seines Freundes Gottfried Herder, der Lieder aus allen Teilen der Erde gesammelt hatte. "Stimmen der Völker in Liedern" war der Titel. Eifrig blätterte er darin. Dann fand er, wonach er gesucht hatte: eines der schönsten italienischen Volkslieder, ein sizilianisches Fischerlied. Herder hatte damals zu ihm gesagt: "Das ist ein Lied, in dem die Seele eines Volkes lebt. Wenn einem doch solch ein Lied im Leben geschenkt würde!" Dieses Lied wollte Vater Falk seinen Pflegekindern "schenken". Während von der nahen Stadtkirche die Glocken den letzten Adventssonntag einläuteten, saß in seinem Zimmer ein Mann, dem alle eigenen Kinder genommen worden waren, und schrieb ein Lied für die Kinder, die ihm anvertraut waren. Er, der selbst so viel Leid erfahren hatte, fasste die wunderbare, frohmachende Botschaft der Weihnachtsgeschichte in die Worte: "O du fröhliche, o du selige gnadenbringende Weihnachtszeit"
Haben wir das wirklich alle vergessen? Schleppen wir deshalb all die Riesen-Tüten nach Hause und wundern uns, wenn die Kinder das siebte Geschenk schon gar nicht mehr auspacken wollen, weil sie überfordert sind? Sicher. Viele Leute spenden zu Weihnachten. Das ist auch gut so. Aber es hat auch etwas von Ablass-Handel. Davon, sein Gewissen zu beruhigen. Weil man eben doch die Nächstenliebe das ganze Jahr über vergisst. Luther sagte dazu in seinen berühmten Thesen: „Wer einem Bedürftigen nicht hilft, aber stattdessen Ablass kauft, handelt sich den Zorn Gottes ein“. Natürlich ist es leichter, eine Überweisung zu veranlassen, als sich Gedanken um seine Nachbarn zu machen. Aber wäre es nicht ein schöner Gedanke, die Wunschzettel der Kinder aus einem Heim für psychisch kranke Mütter beispielsweise zu nehmen, die Sachen zu besorgen, die da drauf stehen, hübsch einzupacken und dann einen Sack dort vor die Tür zu stellen? Ohne Spendenquittung, einfach nur, weil Weihnachten ist...
(Grit Hasselmann)