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Kommentar

Kommentar vom 09.12.2014

Pegida und der Untergang des Abendlandes - Seit sieben Wochen ist es immer das gleiche Ritual, montags, halb sieben in Dresden. Ein Mann tritt ans Mikrofon und ruft: „Guten Abend, Dresden!“ Die Menge johlt. Am vergangenen Montag war es richtig kalt und dennoch schrieben die Zeitungen von 10.000 Menschen, die gegen die Islamisierung des Abendlandes demonstrierten.
Eins vorab: Ich verstehe Pegida nicht. Ich sehe uns nicht islamisiert und mir wird, wenn ich die Bilder von dieser Demo sehe, noch kälter als mich der Dezember ohnehin schon macht. Ich denke an andere Bilder, Fotos aus der Zeit, als die Weimarer Republik unterging. Und an das, was folgte. Und ich bin überzeugt, dass die Leute damals sich auch nicht als Faschisten gesehen haben. Aber was treibt diese „normalen“ Dresdner zu Tausenden auf die Straße? Wo liegen die Gründe? Ein selbstgerechter Verweis auf vermeintliche Ungebildetheit oder unerschütterliche Vorurteile reichen meiner Meinung nach nicht. So viele Leute versammeln sich nicht aus Spaß bei Wind und Wetter im Freien. Die Veranstalter haben offenbar einen "Nerv" getroffen und es wäre für Politik wie für Presse töricht, die Sache mit einem Wink als Spinnerei vermeintlich unbelehrbarer Hinterwäldler abzutun. Hier muss - ehrlich - nach den Ursachen der Sorgen der Leute gefragt statt angewidert mit dem Finger auf sie gezeigt werden. Es ist ein absolutes Armutszeugnis für eine Demokratie, wenn Menschen aus dem gesamten Spektrum der bürgerlichen Gesellschaft auf die Strasse gehen, weil sie das Gefühl haben, dass ihre Probleme nicht thematisiert werden. Wo gibt es demokratische Debatten um eine vermeintliche "Islamisierung Deutschlands"? Nirgends. Die Medien unterziehen sich einer Selbstzensur, während die Politik weiterhin, mit abgehobener Überheblichkeit, Verantwortungslosigkeit und Arroganz die Sorgen der eigenen Bevölkerung ignoriert. Treibt das vielleicht die Menschen einem braunen Rattenfänger in die Arme? Es gibt verschiedene Arten von Menschen, die sich der PEGIDA montags anschließen. Ein kleiner, aber wachsender Teil Neonazis und Krawallmacher, frustrierte Arbeiter und Arbeitslose die Angst haben zu kurz zu kommen und sich keine Gedanken darüber machen was Flucht für einen Menschen bedeutet. Und Senioren, die Angst um ihre Taschen und Sparbücher unterm Kopfkissen haben und noch nie mit Ausländern in Kontakt gekommen sind.
Eine Gesellschaft, die nur das Ich und den Konsum als Leitschnur hat, muss sich vor Fremden fürchten. Gier und Reichtum führen dazu, dass man Angst hat vor Menschen, die andere Werte vertreten. Klar. Nur wird dabei vergessen, dass die Flüchtlinge, die Asylbewerber und Einwanderer nicht diejenigen sind, die unsere Asylpolitik gemacht haben. Sie leiden selber unter der Europa-Aussenpolitik, sie sind Opfer einer Wirtschaftspolitik, die in Menschen nur Arbeitsbienen sieht. Die „Zeit“ schreibt, dass in Umfragen inzwischen mehr als 40 Prozent der Deutschen bekunden, sie hätten Sorge, dass sich der Islam in Deutschland zu stark ausbreite, obwohl die Mehrzahl der Einwanderer gar keine Muslime sind. Diesen Ängsten und dem angestauten Frust bietet Pegida ein Forum. Inzwischen haben sich Pegida-Ableger in ganz Deutschland gegründet, darunter in Kassel, Düsseldorf, Bochum, München, Würzburg, Rostock, Bonn und Ostfriesland; auch sie wollen demonstrieren. Und die Politik? Hoffte anfangs, dass der Spuk vorübergehen würde. Als die Bewegung größer wurde, kündigte Sachsens Innenminister an, polizeiliche Spezialeinheiten für straffällig gewordene Asylbewerber einzurichten. Der Dresdner Polizeipräsident gab kurz darauf zu, dass Asylbewerber strafrechtlich nicht auffälliger seien als Deutsche, auch nicht in der Umgebung von Asylunterkünften. Dem Bundesamt für Flüchtlinge und Migration zufolge kommen in diesem Jahr etwa 200.000 Asylbewerber nach Deutschland. Sachsen mit seinen gut vier Millionen Einwohnern wird in diesem Jahr etwa 12.000 Asylbewerber aufnehmen müssen. Ein Strom ist das nicht. Überhaupt sind nur 2,2 Prozent der Einwohner Sachsens Ausländer. Und trotzdem sind fast 10.000 Menschen, die in ihrem Leben wahrscheinlich noch nie einen Muslim kennen gelernt haben, der Meinung, dass Deutschland kurz davor steht, islamisiert zu werden. Wie kann das sein? Die Antwort ist vielleicht ganz einfach. Wenn die Medien von "importierten Subkulturen" sprechen, wenn immer wieder undifferenziert über Ausländer-Kriminalität geredet wird, wenn der Islam (und eben nicht seine Auswüchse) zur Hauptgefahr für die Welt gekürt wird und wenn dann noch suggeriert wird, dass die Regierung nichts dagegen unternimmt, dann gehen auch Menschen auf die Strasse, die mit der Nazi-Ideologie nicht das Geringste zu tun haben. Und das sogar in Dresden.

(Grit Hasselmann)

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