Kommentar
Kommentar vom 16.06.2009
Reizvolles Thüringen - ach wie reizend... - Am kommenden Wochenende ist nach Greiz zum alljährlichen Thüringentag eingeladen. Die hiesigen Medien haben auf Sonderseiten das umfangreiche Programm eines reizvollen Thüringens einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt.
Und was sind da unter anderem als besondere Höhepunkte benannt worden?
Eine Kirchenmeile, ein ökumenischer Gottesdienst, ein Karrieretreff der Bundeswehr und ein Festumzug unter dem Motto „Reizvolles Greiz“. Naja, das ist nicht alles... Es wird, und die Weimarer werden es sicherlich gerne hören, auch eine Ausstellung zum 90jährigen Bauhaus-Jubiläum geben. Diese steht allerdings nur im Kleingedruckten...
Titel und Programm des Jubelfestes reizen. Reizen zum Widerspruch...
In welchem Bewusstseinssinn finden sich die Bürger dieser Stadt mit ihren Gästen heute, im Jubiläumsjahr 2009, wieder? Im Greiz mit Reiz? In einer Schloss- und Residenzstadt? Am Rande Thüringens? In Mitteldeutschland oder im Aufbruch ins Mittelalter?
Wohl bemerkt:
Im Mittelalter gingen Kolonisation und Christianisierung auch in Thüringer Landstrichen Hand in Hand. Erst die Weimarer Republik machte mit ihrer Verfassung die Trennung von Staat und Kirche zur Aufgabe. Bekenntnisse, Überzeugungen und Denkweisen sollten endlich gleichberechtigt und miteinander in der Gesellschaft teilhaben. Kriegstreiber sollten nach dem Ersten Weltkrieg keine Macht mehr erhalten.
Es war Rosa Luxemburg, die die eigentliche Aufgabe, die aus diesem Friedenswillen erwuchs, in ihrem Aufsatz „Zur russischen Revolution“ schon damals formuliert hat: „Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei - mögen sie noch so zahlreich sein - ist keine Freiheit. Freiheit ist immer nur Freiheit des anders Denkenden.“ Seither wurde die Erkenntnis Rosa Luxemburgs zum geflügelten Wort. Unter diesem Thema stand das Wendejahr 1989 auch für die Thüringer.
„Freiheit ist immer nur Freiheit des anders Denkenden“.
Niemand wollte Opfer sein. Friedlich sollte sich alles zum Guten wenden. Denn Menschen, nicht nur konfessionsfreie, brauchen keine Opfer, keinen Krieg sondern körperlichen, geistigen und sozialen Frieden. Wir brauchen keinen opfernden Gott, kein aggressives Missionswerk und wollen selbst auch nicht Opfer dabei sein. Viel eher brauchen wir ein gleichberechtigtes Miteinander aller in Würde, Frieden und Freiheit.
Aber statt Parteilehrjahr sind nun ökumenische Gottesdienste ein MUSS - und das bei 75 % Nichtchristen im Freistaat Thüringen.
Wäre es nicht ehrlicher gewesen, sich bei einem solchen Spektakel an der Realität im Lande zu orientieren? An der wirtschaftlichen, sozialen und auch Sinn-Krise Anfang des 3. Jahrtausends?
Ein Solo-Programm des Erfurter Kabarettisten Bernhard Röhrig hätte durchaus Anregung für ein wirklich reizendes, augenzwinkerndes Festprogramm geben können... Aber würde vergeht einem bei so viel Ehrlichkeit und Realismus nicht jede Lust an volkstümelnden Jubelfeiern á la Thüringentag vergehen?
Doch schauen wir mal bei Röhrig rein: „... und Sie lügen voll im Trend!“, heißt es bei ihm.
Hierin gestaltet der Kabarettist eine TV-Sondersendung zur fiktiven Thüringer Unabhängigkeitserklärung. Diese steht unter dem Motto: Außen rot-weiß und innen schwarz. Das muß natürlich im nun verkleinerten kollektiven Freizeitpark gebührend gefeiert werden.
Vereine und Ex-Betriebe demonstrieren deshalb bei einem Festumzug Freude und Zustimmung, singen zur Haydn-Melodie einen neuen Hymnentext („Thüringen, außen rot weiß und innen schwarz.“) oder bieten im Vorbeimarsch Groteskes und Folkloristisches. So mit der Losung der „Erfurter Kondomspatzen“ aus den nunmehrigen Gummiwerken GmbH: „Wir pfeifen auf Rom mit unserm Produkt.“
Köstlich auch das christlich-neoliberale Wirtschaftsprogramm - es gipfelt ganz innovativ in der Erklärung: „Mit der Bratwurst in der Hand stärken wir den Mittelstand!“
Natürlich darf auch eine krause Hochkultur bei diesem fiktiven Festakt nicht fehlen: Hier treten als deren herausragende Vertreter die "Thüringer Wandernieren" ("Alte Waisen - frisch gewendet") in der "Rudi-Ratlos-Show" in der Thüringenhalle auf...
Genug, ja, genug, das ist doch bloß Kabarett, Satire, keine Realpolitik. Oder etwa doch - nur vom Schalksnarren karikiert?!
(Siegfried R. Krebs)