Kommentar
Kommentar vom 20.01.2015
Wer zerstört die Familien? - Viel wurde berichtet über die Reise des neuen Papstes auf die Philippinen. Ein Thema allerdings ging ein wenig unter. Denn selbst dieser Papst, der für viele eine Erneuerung der Kirche verspricht, ist eben doch ein Kirchenmann. Und für die Kirche ist die Ehe eben nach wie vor ein heiliger Bund zwischen Mann und Frau. Vom angeblich neuen Ton der Katholischen Kirche gegenüber Lesben und Schwulen war bei der "Apostolischen Reise" von Papst Franziskus auf die Philippinen wenig zu spüren. Er warnte ganz traditionell vor einer "Gefährdung" und "Zerstörung" der Familie durch eine "Neu-Definition" der Ehe. Er hat das Wort "Homosexuelle" zwar nicht genannt, trotzdem war irgendwie allen klar, was er meinte. Dabei klang zunächst vieles durchaus vernünftig. Er betonte, dass die Familie bedroht sei durch die Kultur der Kurzlebigkeit. Keiner will anscheinend langfristig Verantwortung übernehmen. Und eine Gefährdung der Familie sei eine Gefährdung der Gesellschaft selbst. Sein Schluss allerdings bleibt: Christen müssen gegen die Gleichstellung von Homosexuellen im Eherecht kämpfen. Aber was ist es, was tatsächlich die Familie zerstört? Norbert Blüm sagte dazu einmal: „Wahr ist, dass meine Partei Ehe und Familie dem Zeitgeist ausgeliefert hat. Dabei ist die Ehe vielleicht die letzte antikapitalistische Gemeinschaft, in der nicht 'mein' und 'dein' gilt, sondern 'wir'. Wir sind dabei, die Ehe in einer reinen Geschäftsbeziehung aufzulösen. Alles wird eine Sache des Geldes. Ich glaube, dass es in dieser globalisierten Welt dennoch eine tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit und ein Bedürfnis nach Privatheit gibt. Familie ist der Versuch einer Antwort darauf. Jetzt geht es - auch meiner Partei - nur noch um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Bei näherem Hinsehen handelt es sich um die Unterordnung der Familie unter die Belange der Wirtschaft.“ Und tatsächlich scheinen so langsam die eigentlichen Werte aus den Familien zu verschwinden. Auf der einen Seite leben wir in einer Gesellschaft der Individualisten. Materielle Not ist hierzulande wenigen bekannt. Wirkliche Probleme löst man mit Mediatoren, Coaches, externen Beratern. Man tauscht sich nicht mehr mit seiner Familie aus. Jeder findet sein eigenes Modell: Die einen heiraten, die anderen nicht. In einer Familie geht der Mann arbeiten, die Frau kümmert sich um Haus und Kinder, in der anderen wird doppelt verdient. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass Männer im Trash-Fernehen als „arbeitssuchend“, Frauen dagegen als „Hausfrau“ untertitelt werden? Wir leben in einer Gesellschaft, in der Kooperation weit weniger zwingend ist für die Geschlechter als früher. Logische Folge: Wenns mal nicht so läuft, geht man auseinander und sucht sich Ersatz. Weil man dann die Fehler auch nicht bei sich selber suchen muss, sondern einfach die Ex für alles verantwortlich machen kann, was schief gegangen ist. Nietzsche sagte am Ende des 19. Jahrhunderts den Umsturz aller Werte voraus. Jetzt scheint das Realität. Gerade eben ist es wieder deutlich geworden. Was wurde in Deutschland hin- und her- organisiert, um all diese Patchwork-Familien unter den einen oder anderen Baum zu bekommen. Wieviel Gewalt gibt es auf den Straßen. Wie groß ist der Egoismus, der sich am Umgang mit Flüchtlingen zeigt. Unabhängigkeit wird heute allzu oft mit Entwurzelung verwechselt. Ein Problem, dass im Zusammenhang damit aber leicht zu übersehen ist: Wenn Familien zerbrechen, tritt an die Stelle der Autorität der Eltern immer mehr die Autorität des Staates. Wir schimpfen oder lachen oft über die Bürokratie und Regelwut der EU. Aber im Grunde geht es um Macht und Kontrolle. Und wenn einem das bewusst wird, ist es meist schon zu spät. Und die Folge ist so etwas wie eine totale Widerstandslosigkeit. Es setzt so etwas ein wie eine Art Verblödung, Gleichgültigkeit, Abstumpfung; der heutige Mensch scheint unfähig zur Initiative, Originalität und Eigenverantwortung. In Deutschland wird mittlerweile jede dritte Ehe geschieden. Wie viele unverheiratete Paare auseinandergehen, wird natürlich nicht erfasst. An die Stelle des Schuldprinzips trat das Zerrüttungsprinzip. Das heißt, als Grund für ein Auseinandergehen reicht schon, dass man sich nicht mehr liebt. Und das geht schnell. Denn wenn die Frauen verpflichtet sind, so schnell wie möglich wieder zum Familieneinkommen beizutragen, hat das auch eine geistige Unabhängigkeit zur Folge. Und genau das halten viele Partnerschaften nicht aus. „Wenn du dich anders verhältst, als ich das will, liebe ich dich nicht mehr.“ Ein weiteres Element in der Zerstörung der Familie liegt in der Tatsache, dass unsere Gesellschaft eine lustbetonte Gesellschaft ist. Es geht nicht mehr so sehr darum, was die Pflicht gebietet, sondern wozu man Lust hat. Und wenn die Familie zu anstrengend wird, löst man sie eben auf. Und kehrt zurück zum Single-Leben mit seinen Balz-Ritualen und ohne Verpflichtungen. Nichts mehr mit „in guten wie in schlechten Zeiten“.
Wir haben verlernt, dass man für etwas Wichtiges auch mal Opfer bringen muss. Da aber das Leben grundsätzlich Wünsche niemals permanent erfüllt, weil das Leben nun einmal die Eigenschaft hat, Wünsche zu durchkreuzen, Hoffnungen zu enttäuschen und Leiden zu verursachen, wird es immer auch schwere Zeiten geben. Das Schlimmste aber, als Folge der Zerstörung der Familie, ist das „Defizit“ an Liebe. Und bei den Kindern entsteht der Eindruck, dass man sich Liebe verdienen muss. Dabei sollte sie nicht an ein bestimmtes Verhalten gekoppelt sein. Entweder ich liebe jemanden oder nicht. Selbst, wenn die Familie zerbricht, sollte die Liebe doch bleiben. Und da sind wir auch wieder am Anfang: Die sexuelle Orientierung sagt absolut nichts über die Liebesfähigkeit der Menschen. Deshalb sollte ein Papst – der ja das Oberhaupt einer Kirche ist, deren Religion angeblich auf Liebe basiert – niemals die Berechtigung gleichgeschlechtlicher Ehen bezweifeln. Und doch tut er es. Das sagt aber mehr über die katholische Kirche als über Ehen zwischen Männern. Oder zwischen Frauen.
(Grit Hasselmann)