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Kommentar

Kommentar vom 17.02.2015

„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?" Mal wieder die alte Gretchenfrage - Mittlerweile dürfte es den meisten Menschen klar geworden sein: Religion ist gefährlich. Sie bringt Tod und Verderben. Natürlich gilt das immer nur für die Religion, die nicht die eigene ist. Ob Kreuzzüge und Hexenverbennungen aus dem Geschichtsunterricht oder Terrormeldungen aus den modernen Medien – die Bösen sind immer die Andersgläubigen. Und das, obwohl alle Religionen irgendwie von Liebe sprechen. Überhaupt sprechen sie viel. Die Vertreter der Religionen. Über Moral, über ihren jeweiligen Gott, über das Schlagen von Kindern, über Armut und Verhütung – eigentlich haben sie zu allem etwas zu sagen. Sogar darüber, wie Frauen sich kleiden und ob sie Auto fahren sollen. Sie sollen ihren Gott hier auf Erden vertreten. Aber am Ende, wenn man es genau betrachtet, geht es um Macht. Vielleicht auch um Geld. Die Kirchen sind ja allerorten finanziell sehr gut aufgestellt. Und auch dem islamischen Staat gehen die Mittel nicht aus. Aber ich denke, vor allem ist es die Macht. Und die Kontrolle über die Gläubigen. Und das ist nicht göttlich. Sondern sehr sehr menschlich. Schon Ludwig Feuerbach sagte: „Wie der Mensch denkt, wie er gesinnt ist, so ist sein Gott: Soviel Wert der Mensch hat, soviel Wert und nicht mehr hat sein Gott.“ Wenn Menschen also schlecht sind, böse und grausam, dann sind es auch ihre Götter. Aber soll nicht Religion die Menschen angeblich besser machen? Irgendwas läuft da falsch, scheint mir. Und das zeigen auch die Zahlen: Knapp 50 Millionen Menschen sollen hierzulande zumindest formell Mitglied in einer Glaubensinstitution sein. Knapp 25 Millionen Mitglieder der römisch-katholischen Kirche, gefolgt von knapp 24 Millionen Anhängern der evangelischen Landeskirchen.
Auf den weiteren Plätzen folgen 4 Millionen Muslime und etwa 100 000 gläubige Juden. Die Sozialforschung zählt 37,6 Prozent konfessionsfreie Deutsche. Die Tendenz ist eindeutig: Wäre Konfessionslosigkeit eine Konfession, müsste man sie als größte des Landes akzeptieren. Und wenn es denn so ist, warum haben Kleriker in einem Land, das sich die Trennung von Staat und Kirche in die Verfassung schrieb, so viel Macht? Sie sitzen in allen wichtigen Gremien, der Vereinsbeitrag für ihre Mitglieder wird vom Staat als Kirchensteuer eingezogen, sie bekommen eigene Unterrichtsfächer in den staatlichen Schulen, wobei die Religionslehrer sogar vom Staat finanziert werden. Warum?
Verfassungsnorm und Realität trennen hier mitunter Welten. Denn faktisch gibt es zwei Staatskirchen: Das zeigt sich nicht zuletzt in der Sonderrolle beim Arbeitsrecht, steuerlichen Begünstigungen oder der Besetzung von staatlichen Beiräten. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen haben die beiden christlichen Kirchen gar eigene Sendungen.
Und wenn das so ist, warum gilt das nicht für alle Religionen hierzulande? Und für die nicht-religiösen Menschen auch? Das ist immerhin, wie wir gerade gehört haben, mehr als ein Drittel der Bevölkerung. Apropos: Was kostet uns eigentlich die Kirche? Kirchenkritiker sprechen von 19,3 Milliarden Euro, die sich zusammen setzen aus direkten Subventionen – wie beispielsweise kirchliche Einrichtungen, Gehälter und Pensionen von Bischöfen, Kardinälen und Domherren samt Nebenkosten, Erziehungs- oder Ausbildungsmaßnahmen - und indirekten Subventionen –wie etwa die Befreiung der Kirche von der Grundsteuer sowie der Zinsabschlags-, der Kapitalertrags-, der Körperschafts- und der Gewerbesteuer bei ihren Geschäften. Die Kirchensteuer nicht eingerechnet. Die macht noch mal fast 10 Milliarden aus. Auch die Unterstützung sozialer Einrichtungen der katholischen Caritas und der evangelischen Diakonie ist in dem Betrag nicht enthalten. Allein diese Zuschüsse summieren sich jährlich auf weitere 45 Milliarden Euro. Nun tut sie damit ja auch Gutes, könnte man sagen. Wenn man sich aber die sozialen Einrichtungen genauer anschaut, zeigt sich, dass die Kindergärten und sonstigen Institutionen, die sich also in der Trägerschaft der Kirchen befinden, mitunter zu 90 Prozent durch den Staat finanziert werden. Also, wo Kirche drauf steht, ist größtenteils Staat drin. Dennoch gilt in diesen Einrichtungen kirchliches Selbstbestimmungsrecht, während das gesetzliche Arbeitsrecht in den kirchlichen Einrichtungen außer Kraft gesetzt ist: Betriebsrat, tariflich geregelte Bezahlung und Streikrecht – Fehlanzeige. Obwohl rund 40 Prozent der deutschen Bevölkerung keiner der beiden christlichen Kirchen angehören und obwohl gerade einmal knapp fünf Prozent der Bevölkerung tatsächlich an einem christlichen Gottesdienst teilnehmen, werden die Subventionen aus den Steuermitteln aller finanziert. Nicht, dass wir uns missverstehen. Glaube ist etwas Schönes. Der Glaube an Worte, an die Liebe oder an die Fantasie beispielsweise – wunderbar. Und Religion? Sie kann schaden. Sie führt zu Kriegen und Terror. Sie kann zerstören und töten. Andererseits brauchen viele Menschen die Religion, um ihr Leben überhaupt ertragen zu können. Wie soll man dieses Dilemma lösen? Darüber grübeln Philosophen schon seit Jahrhunderten. Und die Schriftsteller auch. Einen guten Grund für die Religion habe ich bei Balzac gefunden: „Mein Freund, ich begreife nicht, warum sie sich weigern, an Gott zu glauben, denn an die Menschen zu glauben, ist doch unmöglich.“ Und trotzdem weigere ich mich. Zwar hat Balzac recht - alles Schlechte und Böse auf dieser Welt kommt von den Menschen. Nicht von irgend einem Gott. Aber das Gute eben auch.

(Grit Hasselmann)

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