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Buchrezension

Buchrezension vom 11.05.2015

"Mano - der Junge, der nicht wusste, wo er war" - „Wohin sollten wir nach der Befreiung gehen?“ – diese Frage stellten sich zahllose ehemalige Häftlinge der NS-Konzentrationslager nach der Befreiung durch die alleierten Truppen. Doch manchmal kamen sie gar nicht dazu, sich diese Frage zu stellen, manchmal wurden sie von den Ereignissen buchstäblich überrollt, und manche konnten sich diese Frage gar nicht stellen, da sie mitunter noch viel zu klein und zu jung waren und kaum verarbeiten konnten, was mit ihnen und ihrem kurzen Leben passiert war. So erging es auch dem zu Kriegsende 12jährigen Sinto-Jungen Franz-Josef Höllenreiner, den alle nur Mano nannten, der mit seinen Eltern, seiner Schwester Lili und seinen Cousins die Hölle von Auschwitz erleben musste.

Von Auschwitz aus ging es auf langen Todesmärschen zunächst nach Ravensbrück und wenig später weiter nach Neustadt-Gleve. Auf diesen Märschen wird der Junge von seiner Familie getrennt und nur seine beiden Cousins verbleiben als nahe Verwandte in seiner Nähe. Auf dem Weg nach Neustadt-Gleve gelingt es den Jungs eines Nachts, sich aus der rastenden Kolonne zu entfernen. Scheinbar ziellos ziehen sie weiter. Mano bricht aber bald zusammen, er kann seinen Cousins nicht mehr folgen und wird von befreiten französischen ehemaligen Kriegsgefangenen aufgelesen und auf einem Lastwagen mitgenommen. Eine junge Frau kümmert sich um ihn. Sie merkt, dass Mano ein deutscher Junge ist und schärft ihm ein bei Kontrollen zu verstehen zu geben, er habe sein Gedächtnis verloren und nur noch zu wissen, dass er Mano heiße und ein jüdisches Kind sei. Sein einziger „Ausweis“ ist die auf seinem Arm tätowierte Häftlingsnummer Z-3526.

Auf diese Weise gelingt es ihr, Mano mit nach Frankreich durchzubringen, wo sie ihn der Organisation Freie Französinnen, einer Hilfsorganisation für Verschleppte, übergibt.
Mano spricht kein Wort Französisch und spielt in gewisser Weise die ihm eingeschärfte Rolle weiter. Dass er ausschließlich Deutsch spricht verwundert den wenigen bekannten Anhaltspunkten seiner Vergangenheit nach, niemanden. Glücklicherweise findet Mano eine freundliche Familie, die ihn vorerst in ihrer kleinen Wohnung liebevoll aufnimmt, sich um ihn kümmert, ihn mit all seinen Traumata verständisvoll umsorgt und, für die damalige Zeit nicht unwichtig, auch für seine Verpflegung aufkommt.

Mano hat Glück im Unglück, wie man landläufig sagt, doch umgekehrt hat er eben auch das Unglück im Glück, denn zum einen sehnt er sich sehr nach seiner Familie, die er restlos tot glaubt, und zum anderen wird er von den französischen Kindern, mit denen er nun mehr und mehr zu tun hat, als „Sales boche“, der dreckige Deutsche betitelt, was ihn stets zu heftigen Wutausbrüchen und Prügelattacken führt, die meist nur durch den rettenden Eingriff von Erwachsenen beendet werden können. Doch nach und nach gewöhnt er sich daran in Frankreich zu leben, nach und nach erlernt er die Sprache und ebenso lernt er, die ihn umsorgenden Familien und Menschen zu lieben und sie als seine neue Familie anzunehmen. Dennoch bleibt eindrucksvoll in Mano die ängstliche Frage: Was werden sie tun, wenn sie erfahren, dass ich Deutscher bin? Sie mögen keine Deutschen!

Eine besondere Bezugsperson Manos ist dabei Madelaine Marcheix-Thoumyre, eine der Begründerinnen der „Freien Französinnen“, die Mano von Anfang an in ihr Herz geschlossen hat und die sich aufwendig auf Recherche begibt, um Manos – vielleicht doch noch lebende – Familie ausfindig zu machen. Aus Bruchstücken setzt sie ein Bild zusammen, sucht Kontakte zu anderen Ermittlungsgruppen – und wird schließlich fündig.

Anja Tuckermann ist mit dieser Schilderung einer tatsächlichen und auch wundervollen Begebenheit vom Ende des zweiten Weltkrieges ein eindrucksvolles Werk gelungen. Dafür gilt der Autorin größter Dank.
Das Elend des großen Ganzen wirkt auf den Kleinen und ebenso hilft dieser umgekehrt, so er es vermag, dem großen Ganzen nach einer Zeit der Ent-Individualisierung wieder persönlicher zu werden.

„Mano – der Junge, der nicht wusste, wo er war“ heißt das Buch von Anja Tuckermann, erschienen ist es in diesem Frühjahr im KLAK-Verlag und es kostet im Handel 11,90 €.

(Shanghai Drenger)

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