Kulturrückblick
Kulturrückblick vom 01.02.2016
Brauchen wir Brauchtum? - Anmoderation:
Die Winter- und Frühjahrszeit kennt hierzulande viele Bräuche. Aber wie gehen wir heute damit um? Wolfgang Renner wagt sich mit seinem Kulturreport diesmal auf volkskundliches Terrain...
Wir brauchen das Brauchtum nicht mehr. Althergebrachte Traditionen, oft von Jahreszeiten bestimmt, meist auch regional bedingt, haben früher den Tageslauf, den Jahreslauf, den Lebenslauf strukturiert. So etwas geschieht aber in der Moderne längst durch andere Mechanismen. Wie gesagt, wir brauchen das Brauchtum eigentlich nicht mehr – und doch gibt es noch immer so eine unbestimmte Sehnsucht danach... Wir feiern dann die Relikte alter Bräuche – aber auch immer nur dann, wenn die Betonung auf dem Feiern liegt, und nicht unbedingt auf einer gelebter Bedeutung.
Wer glaubt schon noch nach der Silvesternacht an die Ergebnisse des Bleigießens und an all die anderen Glückssymbole? Und wer glaubt angesichts der politischen Lage in der Welt noch daran, dass gar Blitze und Böller zu Beginn eines neuen Jahres die bösen Geister vertreiben könnten?
Zu Beginn des neuen Jahres kennt das Brauchtum noch die Rauhnächte bis zum Dreikönigstag. Da durfte man nach altem Volksglauben beispielsweise keine Wäsche waschen, und schon gar nicht auf die Leine hängen, wenn man ein Unglück vermeiden wollte. Und auch manch andere Tätigkeiten im Haushalt waren da untersagt... Solche Gepflogenheiten hat der moderne Pragmatismus längst aussterben lassen. Und es ist uns – in aller Regel – hernach auch nicht schlechter gegangen.
In einigen Dörfern auf dem Rennsteig huldigt man noch dem alten Brauch einer „Hullefraasnacht“ - kürzlich in Schnett beispielsweise wieder. Da tritt die Frau Holle ziemlich böse auf und zeigt sich verwandt mit Wotan und anderen stürmischen oder unfreundlichen Gesellen der germanischen Sagenwelt. Das ist dann freilich längst kein Volksglaube mehr; sondern ein Spaß für die Dorfbevölkerung, und vielleicht interessant auch noch für ein paar Touristen.
In Weimar begegnet uns solch ein Brauch lediglich nur noch in der Oper, z.B. bei Richard Wagners „Walkürenritt“.
Nun haben wir ja noch die Faschings- oder Karnevalszeit ringsum. Auch da geht es zuallererst um Spaß, ein bisschen Satire auch, aber vor allem um das Event in der so genannten fünften Jahreszeit. Eine religiöse Bedeutung, die hinter all dem auch steckt, ist kaum noch bekannt. Allerdings; auf die dem Faschingstrubel folgende Fastenzeit besinnen sich wieder zunehmend mehr Menschen. Der Bedarf dafür mag einer Wohlstandsgesellschaft geschuldet sein: mal für eine Zeitlang sich vom Üblichen abzuwenden, mal auszusteigen, damit das Leben wieder bewusster gelebt werden kann. Vielleicht wird aber auch die Vielfalt der Möglichkeiten, in der wir heute leben, letztlich als zu gleichförmig empfunden: Schule oder Job, Sonntag oder Ferien, Computerspiele oder Shoppen gehen, Fußball-Wochenende oder „Tatort“ - alle vermeintliche Abwechslung scheint ja auch immer wieder gleich. Selbst Zwiebelmarkt oder Karneval, Silvesterpunsch oder Beachparty im Sommer – immer die gleiche Musik, eine ähnliche Stimmung, der gleiche Drang, mit Freunden eine Party zu feiern...
Waren da die Alten mit ihrem Brauchtum glücklicher? Wir transportieren unsere Sehnsüchte und Ideale gern in die vermeintlich gute, alte Zeit zurück. Dabei haben die Bräuche, Sitten, Rituale auch damals schon immer eine ganz pragmatische Funktion gehabt – sogar wenn sie religiös geprägt waren. Wer früher beispielweise von Fasching bis Ostern 40 Tage lang fastete, der hatte vielleicht einfach nur nichts mehr zum Essen in der Kammer, nach dem langen Winter. Da ging es gar nicht um Gesundheit oder Lebenssinn...
Und wenn morgen Lichtmess begangen wird, hatte das auch nie nur eine religiöse Bewandtnis, galt nicht allein den spürbar heller werdenden Tagen und war nicht nur der Termin für das Ende der winterlichen Spinnstuben im Dorfleben früherer Zeiten. Es war auch im wirtschaftlichen Sinne ein ganz wichtiger Tag im bäuerlichen Kalender; denn mit Lichtmess begann das eigentliche Arbeitsjahr des Bauern; die Felder wollten neu bestellt, und die Werkzeuge dafür gerichtet werden. Wer am Lichtmessabend beim Bauern am Tisch saß – ob Magd oder Knecht – der blieb dann auch bis Erntedank. So war es der Brauch. Und dafür gab es keinen Anstellungsvertrag (den früher eh nur wenige hätten lesen können...). Und wenn ein Knecht eine vermeintlich bessere Stellung bei einem andern Bauern gefunden hatte, so kam er einfach nicht zu Lichtmess an den Tisch – und damit war alles Weitere klar.
Warum erzähle ich all das heute bei einem Kulturreport?
Wir feiern so viele Traditionen im Jahreslauf, berufen uns auf sie, und wissen doch selten nur noch, warum. Nun müssen wir wahrlich nicht das alte Brauchtum wiederholen. Vielleicht sollten wir dabei viel mehr das feiern, was uns aufgeklärte, moderne Menschen von den Anlässen und Ursachen, die zum Brauchtum früherer Jahre führten, heute erspart bleiben kann. Eben das wäre doch auch ein schöner Grund, Lichtmess oder Fasching oder eine Fastenzeit zu begehen. Nur; dann sollte man eben auch ein wenig wissen über kulturelle Traditionen, ihre Hintergründe und über die Volkskunde ganz allgemein. Es bereichert dies unsere Feierkultur. Und in diesem Sinne wünsche ich fröhliche Faschingstage allerseits.
Abmoderation:
Wir brauchen das Brauchtum heute nicht mehr … oder vielleicht doch noch? Nur eben anders! Wolfgang Renner reflektierte in seinem Kulturreport über einige Bräuche unserer Region.
(Wolfgang Renner)