Buchrezension
Buchrezension vom 15.02.2016
"Café Auschwitz" von Dirk Brauns -
Geschichten und Erzählungen über die Verbrechen des Nationalsozialismus haben es oft schwer eine Leserschaft zu finden. Bis auf einige wenige am Thema Interessierte, greifen selten mal Buchladen-Kunden nach den dicken und manchmal auch weniger dicken Bänden, welche von einer Schreckensherrschaft berichten. Warum ist das so? Weil es nicht spannend wie ein Krimi ist? Oh doch, das ist es, auch wenn wir wissen, wie die Sache ausgegangen ist. Weil es bedrückend ist? Ja, vielleicht ist das einer der Gründe dafür, denn Urlaubslektüre ist das natürlich nicht gerade, wenn einem berichtet wird, wie die selbsternannten Herrenmenschen in Auschwitz abertausende Juden ins Gas schickten. Oder wird solche Literatur nur deshalb gemieden, weil sie einfach nicht unterhaltsam ist. O je! Worüber spekuliere ich ich hier?
Und doch, finde ich, kann auch diese spezielle Thematik, einen gewissen Unterhaltungswert besitzen. Denken wir zum Beispiel an „Das Leben ist schön“, jenen Film von Roberto Benigni! Alle, die ihn gesehen hatten, kamen gut amüsiert aus dem Kino, nachdenklich zwar und betroffen, aber amüsiert. Es geht also.
Um Missverständnissen vorzubeugen, ich erwarte keine Unterhaltung in Büchern über den Holocaust und doch bin ich immer wieder seltsam berührt und erfreut – oder ein bisschen erleichtert, wenn ich eben auch mal lachen darf.
Der Reportage-Roman „Café Auschwitz“ von Dirk Brauns, der in diesem Frühjahr vom KLAK-Verlag in Berlin neu an die Öffentlichkeit gebracht wird, erlaubt eben dies.
Alexander Amberg, ein Mittvierziger, ein wenig ehrgeiziger Lehrer an der Deutschen Schule in Warschau, lernt eines Tages im dortigen „Café Corso“ durch Zufall den schon betagten Janusz kennen. Alex hatte einen Anruf von der Schule bekommen und deshalb im Café laut Deutsch gesprochen, als ihn der Alte ansprach. „Kommen Sie!“, hatte er gesagt, seine Zeitung beiseite gelegt und dem Jüngeren sogar ein Stück Kuchen angeboten. Er sprach Deutsch – mitten in Warschau.
Nun, heute mag das vielleicht kaum noch jemanden irritieren, einen Lehrer mit wachem Interesse für die Geschichte allerdings schon.
Beide verabreden sich und bald stellt sich heraus, Janusz ist ein ehemaliger Auschwitz-Häftling, hat dort seine Mutter verloren, unzähliges Leid gesehen und musste später auch nach Buchenwald.
Alex ist tief bewegt. Der fremde Mann erzählt ihm offenherzig all seine Erlebnisse. Mit der Zeit entwickelt sich eine echte Freundschaft zwischen beiden: dem Alten, der einem Fremden seine Lebensgeschichte erzählt, und dem Jungen, der darauf brennt, etwas von dieser Geschichte zu erfahren. Sie könnten in diesem Sinne ein glückliches Paar sein.
Während Janusz sein Leben erzählt und dabei immer wieder ins Stocken kommt, weil ihm etwas einfällt, das er jetzt – und zwar jetzt erledigen muss, oder weil er einfach keine Lust aufs Weitererzählen mehr hat, fängt Alex an, seinen Schuldienst ein wenig zu vernachlässigen. Sitzen beide im Café und Janusz erzählt, so kommt es schon mal vor, dass Alex seine Frau anruft und darum bittet, dass sie wenigstens die nächste Stunde für ihn in seiner Klasse übernimmt. Er hat jetzt wichtigere Dinge zu tun.
Alex lernt dann auch Auschwitz kennen – das Museum in Auschwitz-Birkenau, er beteiligt sich im Rahmen einer Sozialarbeitsmaßnahme eines alten Studienfreundes an Instandhaltungsarbeiten im Lager und gräbt dort Fundstücke aus, unter anderem auch das Skelett eines Säuglings.
Bald darauf reist er gemeinsam mit Janusz an den Ort des Schreckens. Janusz, körperlich inzwischen nicht mehr ganz so fit, muss der heißen sonne Tribut zollen und einen ersten Rundgang abbrechen. Am Folgetag lässt er sich auf einem geliehenen Rollstuhl von Alex über das Gelände schieben. Sie treffen auf andere deutsche Touristen, eine Reisebürokauffrau aus Sachsen, die gerne Touren nach Auschwitz anbieten möchte sondiert die Lage – und ist aufrichtig interessiert. Alex kann es gar nicht so richtig glauben.
Janusz und Alex logieren im besten Hotel der Stadt und wenn sie schon mal da sind, werden sie auch noch eingeladen, zu einem Treffen ehemaliger Häftlinge, welches von einem TV-Sender organisiert wurde. Beinahe ungläubig vermerkt Alex den Umgang derer untereinander. Ein paar Tage später, auf dem Lagergelände ist eine von zahlreichen vom Häftlingskomitee organisierten Gedenkveranstaltungen im Gange, beobachten sie eine etwas routiniert scheinende Gedenkkultur, wenn es manchen Anwesenden nicht sowieso nur ums Gesehenwerden geht. So genau lässt sich das nicht ausmachen.
Und schließlich zeigt Janusz Alex einen Zeitungsartikel über einen Kriegsverbrecherprozess in Griechenland. Einer der in Abwesenheit Verurteilten, meint Janusz, sei auch SS-Mann im Lager gewesen. Alex versucht es herauszufinden. Der Betreffende lebt in einem Seniorenstift bei Bremen. Alex recherchiert im Umfeld, interviewt die Mitbewohner des Mannes und schreckt am Ende auch vor Abhörmaßnahmen nicht zurück.
Nun, wo will der Autor mit uns und dieser Geschichte hin?
Wir erfahren viel über die Zeit des Nationalsozialismus, wir erfahren es vor allem aus einer individuellen Opferperspektive. Kein Historiker, kein studierter Mann, dieser Janusz, aber einer, den das Leben prägte. Wir erfahren viel über den Umgang mit Tätern in der zivilen deutschen Gesellschaft, wir erfahren Desinteresse.
Und was den eingangs erwähnten Unterhaltungswert angeht: der alte Mann ist einer, der sich von nichts und niemandem die „Butter vom Brot“ nehmen lässt, wie es so schön heißt. Janusz ist in einem verträglichen Maß unorganisiert und chaotisch und selbst ein Beinahe-Zusammenstoß mit einer Straßenbahn bringt ihn nicht wirklich aus der Fassung.
„Café Auschwitz“ weckt Interesse auf mehr zu diesem Thema.
Der Roman ist 2016 im KLAK-Verlag erschienen, ist 260 Seiten stark und kostet im Handel 14,90 Euro. ISBN:978-3-943767-54-4
(Shanghai Drenger)