Kulturrückblick
Kulturrückblick vom 14.03.2016
Thüringen und Weimar auf der ITB - Anmoderation:
Gestern ging in Berlin die Internationale Tourismusbörse zu Ende. Auf dieser weltgrößten Messe für Reiseveranstalter trifft sich tatsächlich die ganze Welt des Tourismus. Wolfgang Renner hat dort die Stände Thüringens und der angrenzenden Bundesländer besucht und geschaut, wie sich Weimar in der Welt präsentiert...
Weimar lebt zu einem wesentlichen Teil vom Tourismus. Grund genug, mal die ITB – die Internationale Tourismusbörse – aufzusuchen, wenn man eh gerade in Berlin ist...
Für den Besuch dieser weltgrößten Reise- und Tourismusmarketing-Messe braucht man allerdings eine gute Kondition: große Hallen, viele Stände, grelle Farben, ein Gewimmel an Menschen – selbst an den nicht öffentlichen Tagen. Entspannend, wie ein Urlaub ja eigentlich sein sollte, ist die Börse jedenfalls nicht.
Was eigentlich treibt die Menschen immer wieder hinaus in die Welt, so dass sich eine ganze Industrie auf dieses Bedüfnis stürzen kann? Die Deutschen sind Reiseweltmeister, heißt es: 69 Millionen lange Urlaubsreisen – allerdings 70 % davon ins Ausland. 2,9 Mio Beschäftigte gibt es in der Branche. Und Umsätze, die jene der Autoindustrie übertreffen... Und da wollen dann die Thüringer Städte und Ferienregionen natürlich auch etwas abhaben vom großen Kuchen...
Wie aber steht Thüringen beim Tourismus da? Die Statistik des Deutschen Reiseverbandes listet u.a. die Inlandsreiseziele auf – und da ist Thüringen nicht unter den Top Ten der Bundesländer (während Bayern und Mecklenburg-Vorpommern jeweils mehr als 5% aller Urlaubsreisen über 5 Tage Dauer hat, ist Hessen als Zehnter noch mit 0,8 % dabei – und Thüringen eben noch dahinter... Ebenso sieht es auch bei den Kurzreisen (zwei bis vier Tage) aus: Bayern fast 12%, der zehnte Platz geht an Hessen mit 3,6% - und Thüringen ist wieder nicht dabei. Und auch bei den Städten ist Thüringen nicht vorn dran, abgeschlagen beispielsweise im Vergleich zu Dresden oder Leipzig...
Aber einen Rekord hat Thüringen dann doch noch, gemeinsam mit Sachsen, zu verzeichnen: die höchste Dichte an Reisebüros – nämlich rund 15 pro 100.000 Einwohner, während die touristisch erfolgreicheren Länder Bayern oder Mecklenburg jeweils etwa rund ein Drittel weniger haben...
Wie kommt es, dass Thüringen, jenes Land, das bis vor 100 und mehr Jahren mal Vorreiter im deutschen Fremdenverkehr gewesen ist, der Konkurrenz unter den Ferienregionen nicht mehr so recht standhalten mag? Das, was damals als „Grünes Herz“ Deutschlands firmierte, schlägt nicht mehr kraftvoll genug. Ja; es ist gar nicht mehr präsent in der Werbung oder bei der eigenen Imagebildung, aber noch immer – und vielleicht ungebrochen – in der Wahrnehmung der anderen! Als ich an einem bayerischen Messestand verriet, dass ich aus Thüringen komme, meinte man gleich: „...ah, aus dem Grünen Herzen Deutschlands...“
Thüringen aber präsentiert sich nicht grün und herzlich, sondern blassblau mit weiß, viel zu „clean“ für einen spannenden Urlaub. Und an der Decke über den Ständen prangt der Slogan: Thüringen entdecken! Das klingt modern, auch aufgeschlossen, dann aber doch auch wieder etwas anstrengend. Denn; vielleicht wollen die Urlauber lieber genießen, etwas sinnlich erfahren, etwas spüren vom Herzschlag der Landschaft oder auch von der großen Kulturgeschichte. Selbst „erkunden“ wäre da noch viel besser als nur „entdecken“...
Ich weiß nicht, wie wichtig solche Details bei der Werbung tatsächlich sind, aber es scheint da doch – zumindest intuitiv – eine Diskrepanz zwischen Präsentation und Wahrnehmung zu geben.
Wenn man in der Messehalle das Thüringer Areal betritt, präsentiert sich gleich am Eingang die Landeshauptstadt Erfurt. Daneben dann Weimar. Danach weitere Städte und Regionen – alle politisch korrekt in gleicher Größe und Darstellung; kein Turm dabei, der leuchtet. Das Rosenfest in Bad Langensalza oder die Schäfer in der Rhön, die Porzellanwelten auf der Leuchtenburg oder das Achava-Festival in Erfurt ebenbürtig dem Luther in Eisenach oder dem Barockuniversum auf Schloss Friedensstein in Gotha.
Weimarer Klassik kommt im Film vor. Bauhaus- und Reformations- Jubiläen, Johann Sebastian Bach oder auch das Wandern als touristisches Ereignis machen in Sachsen-Anhalt und Sachsen viel mehr her als in Thüringen. Und das Deutsche Nationaltheater und Kunstfest Weimar haben das Thüringen-Areal verlassen und präsentierten sich lieber in der überregional ausgerichteten „Culture Lounge“, neben den anderen großen Festivals Deutschlands.
Begeistern konnte mich dieses touristische Thüringen-Bild auf der ITB nicht; ich habe es an den Ständen nicht so gefunden, wie es meiner eigenen Wahrnehmung entspricht. Und ich konnte auch das ultimative Muss, unbedingt mal Thüringen zu reisen, hier nicht entdecken. Fazit: ein etwas schaler Beigeschmack nach meinem Besuch. Und auch etwas Traurigkeit, weil Thüringen jedenfalls sehr viel – und wahrscheinlich auch wichtigeres – zu bieten hat, als in den Flyern der Stände herauszublättern war.
Und gerade auch Weimar, die einstige europäische Kulturhauptstadt, das den Tourismus für seine kommunale Existenz braucht, müsste sich hier doch viel mehr in einem besonderen Maße noch inszenieren können.
Abmoderation:
Viel Luft nach oben... Wolfgang Renner stellte bei seinem Besuch auf der ITB eine Diskrepanz zwischen Präsentation und Wahrnehmung Thüringens, und auch Weimars, fest.
(Wolfgang Renner)