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Kulturrückblick

Kulturrückblick vom 02.05.2016

"Störfall. Nachrichten eines Tages" im DNT - Anmoderation:
Es gab wieder einmal viel Trubel am Wochenende in Weimar: Walpurgisnacht und Touristenströme, Kundgebungen zum 1. Mai und Veranstaltungen von Flohmarkt bis Seifenkistenrennen... Bei all den fröhlichen Ereignissen in den vergangenen Tagen hat Wolfgang Renner aber auch noch einen „Störfall“ gefunden. In seinem Kulturreport berichtet er davon...


Am 26. April 1986 „war Tschernobyl“...
Tschernobyl ist eine Metapher geworden, vielleicht aber muss man sie heute, genau 30 Jahre nach dem Ereignis, auch schon wieder erklären: Tschernobyl, das war ein großes Reaktorunglück in einem Atomraftwerk an der ukrainisch-weißrussischen Grenze. Eine Katastrophe, wie man sie sich bis dahin nicht hatte vorstellen können.
1986 – da gab es noch keine deutsche Einheit, und die Ukraine gehörte noch zur Sowjetunion. Die Systeme Ost und West reagierten in ihrer Bewertung auf das Ereignis sehr unterschiedlich; Entsetzen und Betroffenheit gab es jedoch überall – hüben wie drüben. Der Mensch und die Menschheit aber neigen dazu, das Schreckliche allzuschnell wieder zu vergessen. Und 2011 gab es ein weiteres Reaktorunglück, in Fukushima im fernen Japan. Tschernobyl, das war noch unglaublich und damals auch irgendwie überraschend. Fukushima dagegen ließ sich mittlerweile erahnen. Bei vielen Menschen ist die ungeteilte Fortschrittsgläubigkeit einer gesunden Skepsis dazu gewichen. Und das Prinzip eines steten Wachstums wird auch immer häufiger in Frage gestellt....
Aber dessen ungeachtet: noch immer produzieren viele hundert Reaktoren Strom überall auf Erden – man kennt keine sicheren Endlager für den Atommüll, aber die Reaktoren bleiben am Netz, fürs gute Geschäft mit Energie.

Die DDR- Schriftstellerin Christa Wolf ist eine der ersten Künstlerinnen gewesen, die sich mit dem Thema Fortschritt und den damit verbundenen Risiken auseinandergesetzt hat. Nur wenige Tage nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl hat sie einen literarischen Text verfasst: „Störfall. Nachrichten eines Tages“. In diesem Büchlein mischt sie ganz persönliches Erleben mit dem Geschehen da draußen in der Welt. An eben diesem Tage des Reaktorunglücks unterzog sich ihr Bruder einer äußerst riskanten Gehirnoperation, mit gutem Ausgang. Der wissenschaftliche Fortschritt zeigte sich hier ganz unbestritten als Wohltat...

Und dennoch: Uns lässt der Text zurück mit einer großen Sammlung sehr vieler Fragen, es sind philosophische Fragen: über den Zustand und die Entwicklung der Menschheit, über Grenzen und die Entgrenzung unseres Fortschrittswillens – eine Reflexion, die aber noch zu keinen gültigen Antworten kommen konnte...

„Störfall. Nachrichten eines Tages“ ist ein thematisch sehr wichtiges Buch. Auch sprachlich ist es bedeutsam.
Und so gebührt dem Theater in Weimar wahrlich eine Anerkennung, dass es eben diesen Stoff nun auf seiner Bühne präsentiert – in Form einer szenischen Lesung. So steht es zumindest in der Programmankündigung.
Das aber scheint mir viel zu kurz gegriffen: Es ist eine Inszenierung. Wir hören nicht nur den Text, sondern erleben beim Vortrag, wie Christa Wolf gewissermaßen über diesen Text nachdenkt, bei gelegentlich alltäglichen Verrichtungen, was die Tiefe und Schwere der Gedanken keinesfalls beeinträchtigt.

Eingerichtet hat diese szenische Lesung für die Studiobühne Enrico Stoltzenburg. Wir kennen ihn, den DNT-Hausregisseur, ja mit etlichen anderen aktuellen, sehr zeit- oder ortsbezogenen Theaterarbeiten. Mit dem „Störfall“ scheint er mir jetzt – zumindest für unsere Breiten – auch Maßstäbe zu setzen für einen möglichen Umgang mit Prosatexten auf einer Theaterbühne.
Und gelesen, nein gespielt!, werden „diese Nachrichten des Tages“ von Elke Wieditz – ganz allein, sehr intensiv, großartig...

Im Grunde ist es ein stilles – kein auffälliges – Theaterprojekt, es bietet dem Zuschauer, oder Zuhörer, viel Anregung zum Nachdenken, und ist daher nicht immer gemütlich, mitunter sperrig. Aber interessant und wichtig- und deshalb für einen Besuch auch empfehlenswert.


Abmoderation:
Weitere Vorstellungen von „Störfall. Nachrichten eines Tages“ - eine szenische Lesung nach Christa Wolf, inszeniert von Enrico Stoltzenburg und gespielt von Elke Wieditz, gibt es am Donnerstag dieser Woche.
Und dann wieder am 29. Mai, am 3. Juni sowie in der nächsten Spielzeit.

(Wolfgang Renner)

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