Bildarchiv
Bildarchiv vom 04.05.2016
In Gold - Zum gestrigen „Internationalen Tag der Pressefreiheit“ war es soweit.
Auf Einladung des „Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger“ gestaltete der chinesische Künstler Ai Weiwei ein Titelbild für deutsche Tageszeitungen. Es heißt symbolisch „Das goldene Zeitalter der Überwachung“.
Zu sehen ist auf den ersten Blick ein großes ornamentales Gitter. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man die Details. Goldene Überwachungskameras, Stinkefinger, Twitter – Vögelchen und Handschellen.
Freilich will das durchtrieben sein und den bekannten Moment des zweiten Blicks nutzen. Mahnende Erhellung durch jenes genaue Hinsehen. Allerdings hinkt jene Erhellung, weil alle verwendeten Symbole mehr als bekannt sind und für diesen Zweck bereits inflationär genutzt werden. Da trägt jemand Holz in den Wald, konzeptuell betrachtet.
Aber es soll auf die Meinungsfreiheit und deren weltweite Bedrängnis hingewiesen werden. Aha.
Der chinesische Künstler muss es schließlich wissen. Denn er hat die Zensur am eigenen Leib erfahren. Die Regierung seines Heimatlands hat ihn als kritischen Geist unter Vorwänden kriminalisiert und ausgesperrt. Mittlerweile lebt er in Berlin und ist selbstverständlich immer zur Stelle, wenn es um Einforderung von Menschenrechten geht.
Mal animiert er Partygäste einer diesjährigen Berliner Film – Gala, sich Mummenschanz – artig in goldene Lebensrettungsdecken zu hüllen. Oder posiert als gestrandeter toter Flüchtling am Ufer des Mittelmeeres. Um freilich auf deren Situation hinzuweisen.
Eine eher peinliche denn aufrüttelnde Situation, die mit voyeuristischer Agitprop – Geste auffallen will.
So mutiert Ai Weiwei ganz sanft zum Berufsmärtyrer und wird dabei gesellschaftliches Label, das zur Vergewisserung des zeitgenössischen deutschen Meinungskonsens beiträgt. Als lebender Beweis für Artikel fünf des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.
Doch darunter leidet eines, dass ihn in früheren Jahren hervorhob. Da hatte er noch mutig alle gesellschaftlichen Widersprüche empathisch zum Thema gemacht. Sich selbst inbegriffen. Vor allem aber hat er sich von niemandem vereinnahmen lassen.
Das ist ihm abhanden gekommen. Geblieben ist ein matter Abglanz seiner selbst.
Gefangen im goldenen Gesellschaftskäfig benutzerdefinierter eigener Künstlerprominenz.
Nachsatz:
Laut Pressetexten hatten gestern über 50 Tageszeitungen „Das goldene Zeitalter der Überwachung“ als Titel abgedruckt.
(Claus Bach)