Kulturrückblick
Kulturrückblick vom 06.06.2016
Neu gesehen: Christiane Vulpius zum 200.Todestag - Anmoderation:
Viel moderne Kunst und etliche Dispute zur Kultur und ihrer Entwicklung gab es in der vergangenen Woche in Weimar: Veranstaltungen des Goethe-Instituts oder Norbert Lammers Vortrag zur deutschen Leitkultur zum Beispiel...
Wolfgang Renner hat sich für seinen Kulturreport aber im Stadtmuseum umgehört, und dort – wenngleich über Umwege – auch etwas über Goethe und gewissermaßen über unsere Leitkultur erfahren...
Heute ist der 200. Todestag von Christiane Vulpius, der Ehefrau Goethes. Vorige Woche war ihr 250. Geburtstag.
Im Stadtmuseum - an dem Ort, wo sie als Arbeiterin bei den Bertuchs Blumen band – da gibt es eine Ausstellung über diese Frau.
Nun mag man fragen: warum eigentlich? Es ist schon sonderbar, wie Geschichtsschreibung funktioniert: Wäre die Vulpius Musäus, Kotzebue oder Nepomuk Hummel begegnet, es hätte sich heute wohl niemand mehr um sie geschert. So aber war es Goethe, der Titan, der in seinem Sog das Leben der Christiane Vulpius mit ans Licht der Öffentlichkeit zerrte. Und so kümmern sich jetzt auch Literaturwissenschaftler und Philologen, Historienschreiber, Ausstellungsmacher, auch Stadtführer und Freundeskreise um ihre Person. Und wer einmal in all deren Fänge gerät, der findet sobald keine Ruhe mehr...
Da fand vor wenigen Wochen, im Kontext zur Ausstellung im Stadtmuseum, der Vortrag eines Neurologen statt, - jener erforscht Krankheitsbilder und Krankheitsverläufe historischer Persönlichkeiten. Und da war wohl die Vulpius für ihn auch ein vorzüglicher Forschungsgegenstand, weil sich um ihre Krankheit und um ihr Sterben sehr viele Legenden ranken.
Es heißt, der übermäßige Alkoholgenuss und ein Nierenschaden wären schuld am frühen Tod der Frau gewesen; sie habe zuletzt unerträgliche Schmerzen gehabt und sich im Schmerz sogar die Zunge abgebissen. Und Goethe hat sie am Sterbelager noch nicht einmal aufgesucht...
Charlotte von Stein beschreibt die schmerzerfüllten Züge der Kranken – vom Hörensagen, Schillers Ehefrau weiß in ihren Briefen auch manch weitere Greuel und Gräßlichkeiten mitzuteilen... Nun aber kommt der Professor aus Berlin, der dem Klinikalltag den Rücken gekehrt hat und sich seither den Krankheitsgeschichten Altvorderer widmet. Er studierte alte Akten im Jenaer Universitätsklinikum, dessen Ärzte die Vulpius behandelt haben. Er suchte nach Aussagen und Beschreibungen in Briefen und Tagebüchern von Christianes Zeitgenossen. Und er untersuchte den damaligen medizinischen Wissensstand und vergleicht ihn mit heutigen Forschungserkenntnissen.
Was man damals nicht wusste, und „Fallsucht“ nannte – mit falschen Methoden behandelt hat, wie z.B. Aderlass – das ist tatsächlich die Epilepsie, so weiß man heute. Und was für einen Außenstehenden furchtbar anzusehen ist, wenn man einem Menschen mit epileptischem Anfall begegnet, das sind vom Gehirn ausgelöste Funktionsstörungen, bei denen der Kranke aber keinerlei Schmerzen empfindet – es sei denn, er hat sich während seines bewusstlosen Zustands zu sehr auf die Zunge gebissen.
Die Historiker und Literaten aber sind immer den Beschreibungen der Zeitgenossen gefolgt, vielleicht zu fraglos. In den Briefen der vermeintlich besseren Gesellschaft Weimars aber mischen sich Erlebtes und Gesagtes, Und hinzu gesellt sich ein Menge Tratsch – im Fall der Vulpius zudem noch viel Neid und Gehässigkeit.
Jetzt müssen die Biografie und die Briefe der Zeitgenossen wieder einmal umgeschrieben bzw. neu kommentiert werden.
Man merkt, selbst in der längst vergangenen klassischen Ära ist noch immer viel Bewegung. Dabei dachte man doch wohl, dass 200 Jahre nach dem Tod von Christiane Vulpius alles über sie gesagt sei, und nichts mehr hinzuzufügen wäre...
Aber dass die großen Geister Weimars nicht ruhen können, dafür gibt es ja noch etliche andere Beispiele; Denken wir nur an die Aufregung, die Ettore Ghibbelino mit seinen Thesen zu Goethes Briefwechsel und Verhältnis zur Frau von Stein ausgelöst hat – oder an die Geschichte der Dichtersärge in der Fürstengruft auf dem Historischen Friedhof. Nun also die Vulpius...
Freilich, zur Gestaltung des Alltags brauchen wir all dieses Wissen kaum. Aber es erhellt, und vermittelt auch manches Verstehen einer Zeit, die vor uns war, die ganz besonders auch Weimar prägte, und von der wir ja auch irgendwie noch immer leben...
Abmoderation:
Im Kalenderblatt von Radio LoTTe haben wir bereits darauf hingewiesen: Christiane Vulpius wurde vor 250 Jahren geboren und genau heute vor 200 Jahren ist sie als Christiane von Goethe verstorben.
Wolfgang Renner gedachte beim Kulturreport der Ereignisse mit neuen Erkenntnissen...
(Wolfgang Renner)