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Kulturrückblick

Kulturrückblick vom 13.06.2016

Sein oder Nichtsein und vom Umgang mit NS-Symbolen in der Kunst - Anmoderation:
„Sein oder Nichtsein“ - das war die letzte Premiere am Deutschen Nationaltheater in dieser Spielzeit. Wolfgang Renner hat sich für seinen „Kulturreport“ eine der Aufführungen von diesem Stück in der Redoute angesehen. Hier seine Eindrücke ...


Sein oder Nichtsein, das ist hier – im Deutschen Nationaltheater – ein ein eher seltsames Stück; es hat mit Shakespeare nur indirekt zu tun und beruht auf dem Film, den Ernst Lubitsch 1942 in Hollywood gedreht hat. Bei ihm geht es um Hitler und den Nationalsozialismus und um eine polnische Schauspieltruppe, die während der Besatzung Warschaus Widerstand probt und spielt und praktiziert...

Die Premierenkritiken sind vor einer Woche erschienen, und sie fielen eigentlich nicht sehr vorteilhaft für die Inszenierung aus. Nun saß ich diesmal aber nicht in der ersten, der eher feierlichen Premieren-Aufführung, wo die Aura eines Bildungsbürgertums dominiert, und man in den Pausen und hernach – dem Feuilleton schon voraus eilend – das Theatererlebnis (oder aber -nichterlebnis) kundig bespricht , reflektiert und seziert...
Bereits bei der zweiten Aufführung beginnt dann schon ein Spielplan- und Theater-Alltag. Außer einer Reisegruppe älterer Herrschaften, die per Bus gekommen waren, saßen diesmal durchweg junge Zuschauer in der Redoute, meist Schülergruppen. Und die feierten diese Aufführung mit viel Applaus. Ich fand das erstaunlich – warum?

Klar, etliche Jugendliche konnten sich auch während der Vorstellung nicht von ihrem Smartphone trennen, und andere verwechselten das an sich erhellende Theater mit einem eher dunklen Schmusekino, derweil vorn auf der Bühne die existenziellen Fragen nach dem Sein oder Nichtsein in dramatischen Zeiten behandelt wurden. Und dennoch, der Schlussapplaus war durchaus ehrlich und begeistert. Schwer zu sagen: war es der Stoff oder war es die Darstellung? Junges Publikum sieht das Theater eben mitunter anders als das Feuilleton.
Sein oder Nichtsein – für wen also ist letztlich das Theater da?

Diese Frage stellt sich ja den Theatermachern nicht erst heute. Als vor beinahe zwei Jahrhunderten die Jenaer Studenten, geprägt vom Geiste der Frühromantik, das alte, klassische Weimarer Theater ausbuhten, stellte sich auch damals schon diese Frage. Nun mag sie wieder einmal ganz oben auf der Agenda der Theatermacher stehen. Gerade jetzt, in der Sommer-Ausweichspielstätte der Redoute, wird diese Frage – wem und welchem Geschmack hat das Theater zu dienen? - bereits wiederholt verhandelt: Denn auch im „Sommernachtstraum“ von Shakespeare probt eine Schauspieltruppe im Stück Szenen, die sich dann mit dem realen Leben vermischen.
Ich vermute, es ist kein Zufall...

Im „Sommernachtstraum“ aber ist es noch ein schönes Verwirrspiel der Handlungen und Charaktere; es ist ein Gesellschaftsdrama, angesiedelt in Zeiten, die uns zwar berühren mögen, aber längst nicht mehr direkt betreffen.
Anders bei „Sein oder Nichtsein“; hier geht es um den Nationalsozialismus. Und dessen politische oder gesellschaftliche Folgen und Auswirkungen haben manche der älteren Theaterbesucher noch gespürt, vielleicht sogar geprägt. Da lacht man nicht gleich über Hakenkreuze und Hitlergrüße auf der Bühne.

Leider, es nimmt zu, die NS- Symbole nicht nur als Ausnahme auf der Bühne oder in der Kunst zu verwenden. Und wenn in Filmen, der Literatur oder auf der Bühne Hitler immer öfter auftaucht – wenngleich als Karikatur – dann können freilich noch immer nicht alle darüber lachen...

Eine Kritik dazu haben übrigens schon Ernst Lubitsch selbst oder Charlie Chaplin in den vierziger Jahren erfahren:
Darf man das Böse so darstellen? Darf man über Episoden lachen, wenn parallel zur Handlung – wie beim Sein oder Nichtsein im DNT – ein ganzes Volk ausgelöscht wird?

Eine Antwort gibt aber im Theater dieses Stück selbst: Man darf... Vielleicht muss man es sogar mitunter, um zu überleben!
Da geht es längst nicht mehr nur um politische Korrektheit; denn das Lachen befreit. Und es verdeutlicht, dass man durch Satire und Witze durchaus subversiv sein kann.
„Ein Lacher“ sagt der Jude Grünberg auf der Bühne, „ein Lacher ist niemals zu verachten!“

Manchem also bleibt – mit dem anders erfahrenen Wissen um schreckliche Zeiten – das Lachen im Halse stecken. Anderen, zumeist jungen Leuten, die wohlbehütet und ohne die Diktaturerfahrungen sind, sehen solche Ereignisse auch anders – lockerer. Da ist ein spielerischer Umgang mit der dokumentierten Geschichte auch möglich.
Und auch das ist legitim, gerade wieder einmal in unserer Zeit, weil Groteske und Persiflage eben auch anzurühren vermögen, und weil das Lachen emotional befreit.

Sein oder Nichtsein – wir werden sehen, welche Formen dabei im Theater in diesem Zusammenhang auch künftig noch einen Bestand haben werden. Man muss da freilich nicht alles gut finden. Und Künstler selbst sollten dabei auch eine Verantwortung tragen. Der Versuch, das Experiment dazu, sollte aber auf jeden Fall der Kunst gestattet bleiben – vor allem dann, wenn es Kunst ist, also auch gekonnt verwendet wird.


Abmoderation:
Sein oder Nichtsein … Das Theater stellt sich wieder einmal dieser dramatischen Frage. Dabei ist es vielleicht weniger von Belang, ob es formal nun die jungen oder die älteren Theaterbesucher anspricht, sondern ob es politisch ist, also ob es nach Antworten auf die Fragen unserer Zeit sucht...



P.S. nach dem Telefonat mit einem Hörer:
Doch, ich bleibe dabei: Der Kunst soll die Verwendung solcher Symbole durchaus gestattet bleiben, wenn es dem Werk – seiner Handlung oder Stimmung – auch dient.
Ärgerlich finde ich aber, wenn sich manche Medien ausschließlich auf die Bilder mit faschistischer Symbolik stürzen – so als gäbe es keine anderen, um auf eine Produktion aufmerksam zu machen. Da bekommen die Symbole plötzlich eine andere Funktion; sie dienen nicht mehr der Vermittlung des Stücks, sondern einfach nur noch einer reißerischen Werbung.
Und dann finde ich es auch ärgerlich, wenn Theater oder Kunstfest etc. sich gegen solch einseitig öffentliche Darstellung ihrer Kunstproduktionen nicht genügend wehren. So tritt alsbald ein Gewöhnungseffekt ein für die vielen Hakenkreuze, Hitlergrüße usw. Ist ja Kunst...

(Wolfgang Renner)

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