Kulturrückblick
Kulturrückblick vom 18.07.2016
Ein kultureller Sommerspaziergang durch Weimar - Weimar in Sommer. Die Stadt ist, wie zu jeder anderen Jahreszeit auch, eine Reise wert. Was aber interessiert hier den Touristen kulturell? Und kommt Weimars Kunst auch beim Weimarer Bürger an?
Gestern habe ich einen Sonntagsspaziergang gemacht – mitten im Weimarer Sommer. Die Stadt war – wie so oft – voll von Touristen. Die Kulturstadt ist eben attraktiv. Aber ob die Gäste wohl wegen der Veranstaltungen zum „Weimarer Sommer“ gekommen sind? Ich weiß nicht...
Der Veranstaltungskalender ist prall gefüllt: Yiddish Summer, Sommertheater in Tiefurt, Theater im Schlosshof und mehrere Konzerte an der Musikhochschule, Thüringer Orgelsommer, Weinfest, Livemusik im Künstlergarten und zahllose Führungen, viele Ausstellungen. Und all das ringt um Aufmerksamkeit – mehr oder weniger.
Bei den ausgestellten und gut beworbenen „Ernestinern“ hielt sich – als ich dort war - der Andrang in Grenzen. Und das Gershwin-Konzert auf der Seebühne im Weimarhallenpark fiel wegen geringer Publikumsnachfrage aus.
Und dann gab es am Wochenende ja auch noch den, die oder das „Summeary“ im „Weimarer Sommer“, wiederum mit zahllosen Ausstellungen, Veranstaltungen, Ereignissen. Es hat der Stadt zudem noch einmal eine Fülle anwesender Studenten gebracht – besonders im Viertel von Bauhaus-, Marien- und Steubenstraße.
„Summeary“, das ist die Summe, ein Fazit, eines ganzen Studienjahres an unseren Hochschulen, und es ist ebenso das Sommerwochenende, bevor die Semesterferien beginnen. Das klingt nach Party, ist zugleich aber auch ernst, weil man eben Ergebnisse präsentiert, oder – um es ganz feierlich auszudrücken – weil man dabei das geistige Level der Ausbildung und das künstlerische Niveau der Studenten zeigt: Welchen Themen widmen sie sich? Wie und mit welchem Ergebnis? Stürmen und Drängen sie mit ihrer Arbeit? Werden sie mal die Welt verändern?
Aber auch: Wie sehr hat die Welt ihr Denken, Verhalten, ihr Werk schon verändert?
Ich will gestehen, mein Zugang und meine Begeisterung zu den meisten dieser Summeary-Arbeiten und -ereignisse hält sich in Grenzen. Sie treffen allzuoft mein ästhetisches Empfinden nicht. Oder: Sie sprechen mich nicht an.
Und manchmal wünschte ich, man möge mir einen Zugang dazu erleichtern helfen; denn prinzipiell bin ich ja durchaus an all den Themen interessiert...
Aber schon die Form vieler Präsentationen stört mich mitunter: Da gibt sich manch banale Idee hoch intellektuell und bleibt womöglich doch nur schöner Schein. Da will manches sehr spielerisch daherkommen und bleibt (für mein Empfinden) nur flach. Oder da ist ein angestrengtes Bemühen, sehr unkonventionell zu wirken – und übertüncht damit (wie mir scheint) nur Allzuoberflächliches im Werk.
Und so komme ich mir inmitten dieser Szene oft fremd und nicht angenommen vor, mit meiner Sicht und meinem Urteil.
Touristen treffe ich beim „Summeary“ am Sonntag gar nicht an. Da mag auch kein gegenseitiges Interesse bestehen und mancherlei Erwartungen scheinen einander sogar auszuschließen: Kulturgeschichte und Avantgarde, städtische Idylle und Interventionen im Stadtraum, Bildung und Zerstreuung, Sinnsuche, Identität und Soziales – und alles wird mit dem Etikett „Kultur“ belegt.
Die eigentliche Essenz des „Kulturellen“ - nämlich die Auseinandersetzung mit der Frage: Wie will ich leben? Welche Werte sollen dabei gelten? Wie gestaltet sich Humanismus heute? Wie bilden wir Sinne und schulen unsere Achtsamkeit? - die kommt dabei seltener vor.
Ein kleines Projekt beim „Summeary“ machte mir dann Hoffnung, eben davon doch noch etwas zu finden: Eine Herder-Box vor der Stadtkirche. Ich bin also auch dorthin spaziert, weil mir medial eine Anregung zu Herders Kulturtheorie und Kulturphilosophie versprochen worden war. Das Ganze aber entpuppte sich als kleines, nettes, allerdings auch ziemlich belangloses Spiel – ein auf Anekdoten basierendes Quiz, kaum tauglich für einen Bildungsanspruch.
Und von einer Beziehung zu Herders Theorien keine Spur. Gerade die wäre in unserer Zeit der globalen Moderne, der Migrationsströme und ethnischen Mischungen wie Reibungen – wieder einmal besonders beachtenswert gewesen. Zum Beispiel auch seine weithin vergessene kulturelle wie ethnische Kugeltheorie. Mit ihren Folgen bis hin zu Samuel Huntingtons „the clash of civilisations“ oder aktuellen Entwicklungen von Interkulturalität, Multikulturalität, Hybridisierung von Kulturen – Ethnien wie Nationen.
Weimars Geist verschiedener Epochen könnte da auch manches wieder viel mehr in die wichtigen Debatten unserer Zeit sich einbringen...
Die Kulturstadt Weimar und ihr Veranstaltungskalender im Sommer scheren sich da allerdings weniger darum. Das Etikett „Kultur“ zielt hier vordergründig auf Tourismus, auf – wenngleich durchaus auch meist anspruchsvolle – Unterhaltung und Geschichtsvermittlung.
Und selbst an der Bauhaus-Universität, beim „Summeary“, finde ich formal nur wenig An- und Aufregendes zu den großen Fragen, die unser Leben, unsere Gesellschaft, derzeit betreffen.
Von Herder bis Bauhaus – nur wenig Anregendes aus Weimar findet man zu den Gesellschaftsdebatten unserer Zeit.
(Wolfgang Renner)