Kulturrückblick
Kulturrückblick vom 15.08.2016
genius loci - cui bono? - Genius loci, das Fassadenspektakel, ließ am Wochenende in Weimar wieder Wände sprechen. Drei Sommernächte, gewidmet dem Geist dieses Ortes, fanden wiederum an diesem Wochenende statt…
Wie viel Mensch braucht die Kultur? Die Frage kam mir in den Sinn, weil sich in den vergangenen Tagen hier in Weimar die Veranstaltungen mit einem hochtechnologischem Equipment häuften. Ich meine „Aquaranio“ im Weimarhallenpark mit den themenbezogenen Laserlichtinszenierungen und ich meine das Fassadenfestival „genius loci“ am letzten Wochenende mit Bildern oder Bildsequenzen an Bauten – und neu auch an einer Wasserleinwand in der Parklandschaft.
„genius loci“ – das ist ein alter Name für ein neues, hochmodernes Projekt, ein sogenanntes Videomapping. Dem Geist des jeweiligen Ortes – dort, wo es stattfindet – gewidmet, und auf den solcherart belebten Ort weist das Wort der alten Lateiner hin. Im Lateinunterricht lernte ich aber auch einen anderen Ausspruch der alten Römer, der mir inmitten der Bilderflut auch wieder in den Sinn kam: cui bono? Wem nutzt das? Die Römer stellten diese Frage, wenn sie sich politische Ereignisse erklären wollten; sie gilt aber durchaus auch für die Kunst...
Nun also, warum solch ein Fassadenspektakel? Wem nützt es? Zuallererst: Es ist Unterhaltung. Und damit Anregung für viele, sehr viele, Zuschauer, die herbei-geströmt kamen, um ungewöhnliche Bilder zu sehen, vor allem aber wohl, um einander zu begegnen, im Dunkel zu flanieren und einen vergnüglichen Abend in der Menge zu haben. Die Realisierung dieses Projekts ist schon außergewöhnlich, und seine technische Umsetzung großartig. Das Spektakel ist mittlerweile unverzichtbar geworden im Weimarer Veranstaltungs-programm; da bringt Weimar eine Innovation – was in anderen Kultursparten längst nicht mehr der Fall ist. Freilich nützt dieses Festival auch der technischen Fort-entwicklung. Und da ein Videomapping an Weimars Fassaden letztlich einmalig bleiben wird, weil Weimars Fassaden nun mal ihre ganz eigene und einzigartige Geschichte haben, da drängt es auch gerade hier nach einer ästhetisch analysierenden Betrachtung von solcherart erlebbarer Kunst.
Nun also: genius loci – cui bono? Was bringt es kulturell den Menschen? Ich meine: Werden wir Menschen schöner, klüger, reicher … also besser, dadurch? Was sagt es über unser Leben aus? Und eben dazu finde ich noch keine stimmigen Antworten darauf...
All das Erlebte ist faszinierend - auf den ersten Blick. Dem ästhetischen Eindruck, den die modernste Technik zu erzeugen vermag, kann man sich einfach nicht entziehen. Beim zweiten Anblick entsteht aber durchaus auch ein Gefühl einer ungenügenden Lebendigkeit – trotz aller Bewegtheit von Licht und Formen und Bildern. Die Technik hat die Oberhand gewonnen; es fehlt der Mensch in der Darstellung. Oder: der Mensch als ihr Gestalter tritt hinter die Erscheinungen seiner Kreativität zurück. Das ist interessant, aber irgendwie auch schade…
Ein anderer Aspekt: Es gibt eine Kunst des Gestaltens, die beim Fassadenspektakel vorzüglich ist. Aber es gibt auch eine Kunst des Veranstaltens, und da blieb mir manches noch unbefriedigend: Beleuchtung und Wegeführungen beispielsweise, oder die Frage der Sicherheit für die Besucher und der Schadensbegrenzung in den Parkanlagen. Natürlich gehört die Ilmnixe Erlinde unbedingt in den Park an der Ilm, und das alte Gemäuer des Tempelherrenhauses kann auch kein anderes Gebäude ersetzen. Aber Natur, und selbst Kulturgeschichte des Terrains setzen doch irdische Grenzen dem Projekt, und die sind – selbst bei Feier allen technischen Fortschritts - kaum zu überwinden. Zum Beispiel die verbauten landschaftlichen Räume, die keinen Bezug zu den Projektionen haben. Zum Beispiel die durch die Nacht dröhnende Techno-Klänge, die mit einer natürlichen Parkstimmung kaum kompatibel sind... Da ist eine andere Sensibilität an Gestaltung – auf und um die Projektionen – am Werke. Und so stellt sich die Frage auch: Ist das unsere künstlerische Zukunft? Ist das Ereignis bereits ein Spiegel für eine unausweichliche Technisierung alles Geistigen? Welches Verhältnis werden Natur oder Historie und Kunst künftig miteinander eingehen?
Und so entsteht bei mir die größte Spannung nicht dadurch, was ich da gerade an bewegten Bildern auf den Fassaden sehe, sondern im Nachdenken darüber, wie und wohin sich all das noch weiterhin entwickeln wird…
(Wolfgang Renner)