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Kulturrückblick

Kulturrückblick vom 17.08.2016

Kunstfest Weimar - Erwartungen, Entwicklung - Radio LOTTE-Sondersendung am 17. August 2016 vom Theaterplatz:zum „Kunstfest Weimar 2016“

Wolfgang Renner, der bei Radio LOTTE kulturelle und kulturpolitische Kommentare spricht und auch ein aufmerksamer Besucher der Weimarer Kunstfeste war und sein wird, war hier im Gespräch mit Moderatorin Anka Suckow:
(ein Gedächtnisprotokoll)



Zur Frage nach den Erwartungen an das Kunstfest in diesem Jahr?

Einfach gesagt: Ich will vom Festival mitgenommen und angeregt werden...
Das Kunstfest hat interessante Formate – und ich erwarte, dass es auch weiterhin spannend bleibt in seiner Performance. Wer die bisherigen Kunstfeste erlebt hat, spürt ja sehr deutlich, dass seit 2014 der neue Leiter Christian Holtzhauer ein völlig anderes Konzept fährt als all seine Vorgänger...

Ich will gestehen: es ist nicht meine bevorzugte Ästhetik, die er da als Programm anbietet – aber ein Kunstfest ist ja nicht für mich allein da, sondern sollte allgemein für die Zeit und den Ort interessant sein (Zeitgeist). Da finde ich Holtzhauer sehr spannend – nicht schön, aber spannend und sehr interessant…
Und weil ich mich selbst an die neue Ästhetik noch immer nicht recht gewöhnen kann, erwarte ich mir eben auch „mitgenommen“ zu werden. Das heißt, ich erhoffe mir auch die eine oder andere „Vermittlung“ zu dem, was da passiert...

Die Themensetzungen des diesjährigen Kunstfestes gefallen mir: Grenzen überschreiten, Peter Weiss und seine „Ästhetik des Widerstands“, Fragen von Migration und kulturellem Austausch, viel Tanz (Worte und Theater ergänzend...) sowie etliches, was das Mitmachen des Publikums erfordert, oder Interventionen hinein in den Stadtraum...
Es mag mitunter anstrengend sein, das entsprechend wahrzunehmen. Wenn es anregend ist, strengt man sich als Besucher aber auch gerne an...



Frage: Im Vorgespräch wurde vom „verflixten“ dritten Jahr für Holtzhauer gesprochen. Wie war das gemeint?

Spannend ist ja auch die Frage: Wie hat sich das Festival seither weiter entwickelt? Hat es sich verfestigt in seiner Struktur, verbessert in seiner Ausstrahlung? – Immerhin hat sich seit 2014 ein Publikum (oder die Zielgruppe) fast komplett ausgetauscht: Alte Festivalgänger wurden mitunter verprellt und viele neue sind hinzugekommen. Geht all das so noch auf?

Ja; es ist das verflixte dritte Jahr für den Kunstfest-Chef... Weil: Entweder es gelingt, alles weiter zu treiben, immer Neues zu schaffen und spannend zu bleiben. Oder man beginnt jetzt schon, sich selbst aus seinen Anfängen her zu zitieren...
Ich weiß da aus eigener Erfahrung, dass da das dritte Veranstaltungsjahr in diesem Zusammenhang ein besonderes ist...



Zur Frage, wodurch sich das Kunstfest Holtzhauerscher Prägung denn von den vorherigen unterscheide?

Wo beginnt hier die Vorgeschichte? Weimar hat eine große Festivalgeschichte, die teils sogar von nationalen Kulturkonzepten ihrer jeweiligen Zeit getragen waren...
Beispielsweise Franz Liszts und Richard Wagners hier am Ort gescheiterte Wettbewerbs- und Festspielidee und ihr Motto: aus der Vergangenheit für die Gegenwart schöpfen, um in die Zukunft zu wirken...
Oder Harry Graf Kesslers und Henry van de Veldes „Theater der Avantgarde“, damals inspiriert durch Nietzsches „Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik“ und als Festspiel gegen eine höfische Kultur gedacht – aber ebenfalls gescheitert...

Im ganzen 20. Jahrhundert gab es dann „Weimar-Festspiele“, die sich stets um einen Geist von Weimar (oder das, was man gerade darunter verstand...) mühten: Anfangs vom Deutschen Schillerbund, der sich an ein konservatives Bildungsbürgertum richtete, dann in den Zeiten der Weimarer Republik traten auch die Gewerkschaften auf den Plan oder im darauf folgenden Nationalsozialismus wurden Festspiele vordergründiger propangandistisch gestaltet. Auch die DDR feierte mit den „Weimartagen der Jugend“ (später der FDJ) den Geist von Weimar, auf ihre Art. Bis 1989…
Festspiele oder Kunstfeste in Weimar waren übrigens immer politisch. Und das gilt bis heute...

Das eigentliche Label „Kunstfest Weimar“ entstand im Sommer 1990 – also noch vor der deutschen Einheit und vor der Währungsunion – finanziert wurde es in jener Zeit aus der Zonenrandförderung des damals noch existierenden Ministeriums für innerdeutsche Angelegenheiten. Intendantin war Dr. Kari Steff- Wolfsjäger (später Kahl-Wolfsjäger). Ihr Konzept war schlicht, den kulturellen Ruf Weimars als Grundlage für ein Programm zu nemen, das gespeist aus dem internationalen Tourneezirkus wurde, und damit die Region zu „beglücken“. Große Namen, tolle künstlerische Leistungen gab es da, aber kaum einen wirklichen Bezug zur Stadt oder Stadtgeschichte und schon gar keinen Bezug zu den Sorgen, Themen dieser Zeit im Wandel...

1994 wurde Bernd Kauffmann, der Klassik-Stiftungspräsident, auch Kunstfest-Intendant und hatte wichtige Themen im Gepäck, auch etliche Provokationen („Nieder mit Goethe!“, „Weimar liegt am Meer“ waren bspw. Kunstfest-Mottos). Sein Anliegen war eine ästhetische Bereicherung der hiesigen Kulturszene. Seine Fragestellungen – beispielsweise nach Demokratisierung von Kunst, nach Aura, Kopie und Original etc. – waren sehr wertvoll. Allerdings, sie trafen auf eine noch immer nervöse Zeit im Osten, und so traf er selten den Nerv des breiten Publikums vor Ort…

Ein kurzes Zwischenspiel von Ralf Schlüter als Intendant blieb ohne Folgen.
Danach kam die Dekade mit Nike Wagner: Jetzt gab es wieder einen konkreteren Weimar-Bezug im Programm und eine gute Ausstrahlung, Aufmerksamkeit in die Welt hinaus – aber weniger Resonanz zuhause. Die Volksmeinung: zu elitär, dieses Festival.

Nun gibt es Christian Holtzhauer: Eigentlich ist auch er wieder elitär, aber so völlig anders... Elitär (und das ist positiv gemeint) muss ein Festival sein, damit es sich vom Veranstaltungsalltag abhebt, eine besondere Veranstaltung wird – das erwartet man...
Holtzhauer praktiziert bei seiner Programmgestaltung zeitgenössische Veranstaltungsformen und Formensprache (ob dies schon eine neue Avantgarde ist, vermag ich nicht zu beurteilen...). Der Weimar-Bezug ist so gar nicht mehr historisch, aber aktuell, einerseits den Stadtraum in der Gestaltung auch einbeziehend (die Stadt als Bühne), und trotzdem thematisch weit über das, was Weimar angeht, hinaus weisend… Ob das auf Dauer erfolgreich sein wird, das muss sich jetzt noch erweisen...



Die Frage, orientiert an der Aussage, dass Kunstfeste in Weimar immer politisch waren und sind: Was ist am Kunstfest Weimar 2016 politisch?

Alle Festivals dienen letztlich immer einer Idee. Und wenn Künstler sagen, die Kunst sei unpolitisch, so ist das – aus meiner Sicht – auch schon ein politisches Programm, nämlich das einer Orientierungslosigkeit, eines Scheiterns oder einer fehlenden Botschaft…
Alle großen kulturellen Geister Weimars waren politisch: Die Klassiker dienten dem aufgeklärten Absolutismus, das Silberne Zeitalter nutzte der Deutschen Reichsgründung, Lebensreformer vor dem ersten Weltkrieg traten gegen die Monarchie an; manche wollten die Bestätigung eines jeweils existierenden politischen Systems, andere wiederum „nur“ Bildung für ein besseres Weltverständnis. Und in den letzten Jahrzehnten spielt auch das Wirtschaftliche, der Tourismus, das Marketing für einen gewerblichen Standort, bei der Kulturgestaltung eine Rolle. All das ist politisch, ebenso wie die neuerlich zunehmende Orientierung von Kunst nach dem Gelde oder nach Aufmerksamkeit – das spiegelt den Geist einer Zeit und ihrer politischen Welt.
Politisch ist auch, wie man sich in der jeweiligen Zeit dem Symbolort deutsche Kultur und seiner europäischen Ausstrahlung genähert hat – dem „Kosmos Weimar“. An der Geschichte der Weimarer Festivals erkennt man dabei sehr verschiedene Ansätze und Sichtweisen – und auch die mögen Spiegel eines jeweiligen politischen Zustands sein.

Holtzhauer thematisiert wieder das Politische in vielen seiner Programme sehr offensichtlich. Das ist gut - dafür wünsche ich ihm Erfolg – und erwarte es weiterhin…




(Wolfgang Renner)

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