Kulturrückblick
Kulturrückblick vom 22.08.2016
Das Kunstest ist eröffnet - wozu Kunst? -
Am Freitag wurde das Kunstfest Weimar 2016 eröffnet. Und gleich am Anfang stand die Frage: Wozu Kunst? Die Frage stellt sich immer häufiger in unserer Zeit. Vor allem, weil Kunst zunehmend mit Geld, und weniger mit Sinn, in Verbindung gebracht wird.
Am Freitag in der Weimarhalle stellte Kunstfest-Chef Christian Holtzhauer diese Frage an den Anfang seiner Eröffnungsrede. Das war erfrischend, weil alle anderen Honoratioren, die zum Mikrofon griffen, davon sprachen, was wir ja schon wussten oder im Programmheft längst gelesen hatten: wie viele Veranstaltungen, wie viele Künstler, wer das finanzieren half und überhaupt: alles ganz großartig, wichtig und schön... Da neigte man zum Weghören, und horchte bei Holtzhauer plötzlich wieder auf: Ja, wozu Kunst?
Die Zeiten, in denen wir uns gerade befinden, sind unruhig geworden, die Gesellschaften sind in Aufruhr geraten. Nicht existenziell bedrohlich, aber doch spürbar sind die Veränderungen – mittlerweile betreffen sie auch ganz konkret unser eigenes Leben: Das europäische Projekt bröckelt. Überall entwickeln sich neue nationalistische Strömungen, was wir doch im geeinten Europa längst überwunden zu haben glaubten. Und die Migrationsbewegungen in der Welt, wie wir sie jetzt erleben und auf deren Möglichkeit vor vielen Jahrzehnten schon Künstler hingewiesen haben (ich erinnere mich da an Lieder, die Gerhard Schöne oder Hans-Eckardt Wenzel hier in Weimar schon vor mehr als 30 Jahren zu diesem Thema gesungen haben), die sind real geworden. Damals taten das manche als schlechte Vision oder Schwarzmalerei ab, andere fanden die Gedanken interessant, erkannten sie aber doch nicht als eine mögliche Realität. Was also haben da die Künstler von damals tatsächlich bewirkt?
Nun gibt es zudem Globalisierung, Modernisierung, Digitalisierung: Was soll die Kunst da noch bewirken, inmitten seelenloser Nüchternheit, herrschendem Pragmatismus, inmitten von juristisch geprägter Bürokratie oder der Beschleunigung aller Lebensbereiche. Die daraus folgenden Krisen – ob in der Politik, Finanzwelt, Wirtschaft oder Ökologie – die nehmen wir noch zur Kenntnis, aber Kunst vermag diese bestenfalls noch zu beschreiben, - freilich nicht zu verändern. Wie auch?
Da ist es vielleicht auch bezeichnend, wenn das Weimarer Kunstfest bei solchart Fragestellungen auf einen Hundertjährigen zurückgreift, um mögliche anteorten zu finden – auf Peter Weiss und seine „Ästhetik des Widerstands“ aus den siebziger Jahren – vielleicht, weil man unter den gegenwärtigen Denkern und Künstlern dafür keinen Geeigneteren gefunden hat...
Die Kraft des Widerstands durch Ästhetik, in der Literatur oder auf der Theaterbühne, das ist ein Schwerpunktthema im diesjährigen Programm.
Normalerweise gehen Kunst und Bildung Hand in Hand. Für Bildung hat die temporeiche Gesellschaft aber kaum noch Zeit, einzig Ausbildung ist da gefragt. Es gibt auch keine gesellschaftsübergreifende Kommunikation zu solcherart Fragestellungen mehr. Der Fortschritt, beispielsweise in Form von Vielfalt in den Medien, verengt ja letztlich das Sichtfeld: Die Welt wird nicht generell wahrgenommen, sondern nur noch in Brüchen, bruchstückhaft. Dabei halten sich viele Zeitgenossen in ihren medialen Netzwerken auf, sprechen in ihren eigenen Raum hinein – und wie Holtzhauer sinngemäß sagte – nehmen sie nur den eigenen Hall wahr, hören aber nicht mehr darauf, was im Nebenraum gedacht wird oder geschieht...
In dieser Situation nun also fragt ein Festival danach: Wozu Kunst?
Antworten wird es dafür wohl nicht geben, nur Fragen. Aber vielleicht mag diese Frage allein schon sensibilisieren – sie fasst ja sehr viel mehr nur die Kunst... Sie ist wichtig, und es ist mutig, dass hier – beim Kunstfest Weimar – nicht nur auf Spaß und Vergnügen, auf Massenkompatibilität und finanziellen Gewinn geschaut werden soll, und dass Weimar dabei nicht nur auf einen üblichen Festivaltourneezirkus großer Namen setzt.
Aber außer den Reden und Reflexionen hat es ja auch tatsächlich noch Kunst gegeben – in der Weimarhalle und auf dem Theaterplatz...
Das Eröffnungskonzert in der Weimarhalle war ungewöhnlich. „Un/Ruhe“ sein Titel. Gespielt hat die große Junge Deutsche Philharmonie, besetzt mit den wohl besten Musikern, die es derzeit im Jugendalter gibt.
Man spielte Richard Wagners „Tristan-Vorspiel“, sehr frisch, sehr inspiriert, und Alban Bergs „Lulu-Suite“, wo das Orchester auch ein hervorragender Begleiter der außer der Norm agierenden Koloratursopranistin Ana Durevski war.
Zwischen diesen beiden Stücken gab es quasi eine Uraufführung – zumindest in dieser Form eine Premiere: Das Werk hieß „Still“, wurde komponiert von Rebecca Saunders und vereinte die bekannte Geigerin Carolin Widmann mit dem Orchester und mit einer Tanzcompagnie von Sasha Waltz.
Das waren dann doch große Namen auf der Bühne versammelt– aber keinesfalls mit einem beliebigen Programm: Die Tänzerinnen und Tänzer agierten zwischen und vor den Musikern, und – wie der Titel es beschreibt – mit unruhigen Bewegungen: sehr spannend, sehr emotional, teils auch erschreckend. Aber da hatte die zeitgenössische Kunst wirklich ihr Fest.
Wohingegen ich das beim Eröffnungsprogramm auf dem Theaterplatz nicht immer so festlich empfunden habe. Der Platz hat eine geringe Aufenthaltsqualität. Da helfen auch mobile Stadtmöbel nicht hinweg.
Der Platz mag sich für Demonstrationen eignen, die Musik jedoch verpufft, und die Menschen im Alltag tragen eine Unruhe herein – aber keine solch produktive Unruhe wie sie beim Eröffnungskonzert zu erleben war.
Als da beispielsweise das „Pulsar-Trio“ vor sechs Wochen in Rudolstadt beim Festival spielte, da ein Vielfaches von Menschen vor der Bühne, und die waren vielfach mehr begeistert als in Weimar...
Dennoch; es ist gut, dass das Kunstfest nicht nur in einem Kulturtempel, sondern auch öffentlich im Stadtraum eröffnet wird. Was mich dabei allerdings auch noch stört, das sind die großartigen Ankündigungen für ein gar nicht mal so ungewöhnliches Programm. Da werden Erwartungen unendlich hoch geschraubt: Kunst bereichert, ermöglicht neue Perspektiven, macht Lust auf Unbekanntes, regt an zum gegenseitigen Austausch – stimmt ja alles, nur nicht unbedingt auf dem drögen Theaterplatz, wo das Publikum in der prallen Sonne steht und immer nur noch auf irgendetwas wartet...
(Wolfgang Renner)