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Buchrezension

Buchrezension vom 06.07.2007

Henrik Eberle: Mit sozialistischem Gruß! - Eines fällt mir gleich beim Vorwort auf - vielleicht nichts Besonderes, für mich bedeutsam genug, um es gleich zu Beginn zu erwähnen: Geblieben von der DDR sind Produkte und Marken, also Konsumierbares. Verschwunden ist das Gesellschaftliche. Die DDR gib es nicht nicht mehr – nun, das ist gut so. Daß jenes, was geblieben ist, so beschränkt ist – ist das auch gut so?

«Aber geblieben ist auch..» lesen wir dann weiter und begegnen hier kurz einem differenzierteren Blick des Autors auf Vergangenheit und Gegenwart – allerdings nur bis zum letzten Satz des Vorwortes. Was folgt ist eine Sammlung gesichteter, sortierter Briefe und Korrespondenzen von Bürgern an die unterschiedlichsten Organe der DDR und der Instanzen untereinander, wie mit den Sorgen, Nöten und Anklagen ihrer Bürger umzugehen sei, wie zu reagieren.

Doch beim Sichten und Sortieren durch den Autor ist es nicht geblieben. Herausgekommen ist eine Art kommentierte Sammlung, und daran wird das Problematische des Buches deutlich: einerseits zu dokumentieren, andererseits deutlich Stellung zu beziehen, persönliche Meinung zu vermitteln. Und immer lese ich hier jene Überheblichkeit mit, gegen die ich heute so empfindlich geworden bin: Warum habt ihr das eigentlich solange mitgemacht? Warum habt ihr den ganzen Unfug so ernstgenommen? Oder: Eure Sorgen von damals möchte ich heute haben!
An dieser Stelle muß ich mich korrigieren: Warum haben wir das eigentlich solange mitgemacht? Denn erstaunt entnehme ich der Biografie des Autors Folgendes: Henrik Eberle ist deutscher Historiker, Sohn eines Ingenieurs und einer Pharmazieingenieurin und wurde geboren am 3. Mai 1970 in Karl-Marx-Stadt.

Einiges an Texten klingt für heutige Ohren sehr unbedarft und daher lustig. Aber welchen Grund gibt es, eine Reihe überheblicher Kommentar darüber zu geben? Es gibt nämlich immer eine gute Erklärung für etliche und im Buch beispielhaft genannte Blüten und Entwicklungen der Art „Nehmt ein Ei mehr“. Und sie ist einfach, sie muß aber durch Geschichtsbetrachtung erst gewonnen werden: Damals gab es weder Werbestrategen noch Marketingexperten oder Promotionagenturen. Der übriggebliebene DDR-Bürger in mir denkt erstens: Wozu auch? Und zweitens: Die Leute wurden ja andernorts gebraucht!

Ich gehe also meiner Enttäuschung auf den Grund. Tue ich Buch oder Autor unrecht? Wieso habe ich eigentlich mehr von dem Werk erwartet? Denn im Untertitel steht es ja ganz deutlich: «Briefe, Akten und Absurdes aus der DDR». Mehr hat uns der Autor nicht versprochen. Aber mehr habe ich mir vom Autor versprochen! Denn aus Henrik Eberles Feder von stammen um einiges gehaltvollere Bücher wie «Das Buch Hitler» und «Anmerkungen zu Honnecker». Ich will also gelten lassen: Grundsätzlich ist das Buch recht unterhaltsam. Für ein Verständnis der DDR-Verhältnisse (Wie kam das alles? Wieso blieb es solange? Und warum verschwand es wirklich und wohin?) ist es kaum zu gebrauchen, die Erklärungen, die Eberle gibt, sind zu einfach.
Und noch einmal zum Vorwort. Denn hier schon drischt Eberle die Phrasen von «Demokratie und Freiheit» – jenes Begriffspaar, das heute schon weitgehend nicht mehr das umreißt, was man – sagen wir – noch vor 20 Jahren in der DDR damit verband. Und er übernimmt anstandslos den Begriff der «sozialen Errungenschaften» - ein DDR-Schlagwort, das Polikliniken, Gesundheitsvorsorge viele andere recht fortschrittliche Dinge umriß, heute aber nur noch den Mief von Betriebsküchen verbreitet.

Am Ende der Lektüre bleibt der schale Geschmack im Mund eines DDR-sozialisierten, daß «seine DDR», an die er sich noch zu gut zu erinnern meint, nichts mehr ist, woraus man im Falle eines Falles nochmal etwas lernen könnte, im Ganzen nurmehr gut genug für Absurditäten, über die man sich leidlich amüsieren kann, in seinen Sessel gelehnt, derweil sich über Schokolade und Westfernsehen freuend – oder eben ärgernd, weil man jetzt zuviel Zeit dafür hat.

Und ein Satz noch: Die Zerstörung von Landschaften, damals im großen Stil für die Braunkohle vollzogen, geschieht heutzutage sozusagen subtiler, nicht mehr für die Fernwärme, sondern beispielsweise für Großmärkte und immer im Zuge einer akzeptablen Gegenleistung – wirtschaftlich, politisch (also populär) begründet. Das Ergebnis dürfte ebenso tragisch sein, es wird uns nur besser verkauft.

Und so endet das Buch pathetisch: «Die Schlagwörter 'Sozialismus' und 'Kapitalismus' sind out. Aber tief im Inneren fragen sich die einstigen DDR-Bewohner durchaus, ob das was ist, auch wert ist, daß es ist.» - Ich mich auch.

(Charles Ott)

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