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Buchrezension

Buchrezension vom 29.01.2007

Kerstin Gier: Für jede Lösung ein Problem - Es ist so eine Sache, mit seinen Mitmenschen klarzukommen, wenn sie wissen, was man wirklich von ihnen hält: wenn sie Deine schonungslosen Abschiedsbriefe gelesen haben. - Diese sinngemäße Buch-Ankündigung fand ich auf Anhieb so interessant, daß ich erst den Text noch einmal las.. und dann das ganze Buch. Und interessant sowie unterhaltsam geht es auch los.

Schon in der ersten Schlüsselszene - wenn man will, auch "Schüsselszene" - und auf den folgenden Seiten erfahren wir: unserer Romanheldin Gerri hört niemand zu, Gerri wird nicht ernst genommen, Gerri wird bevormundet. Außerdem ist sie schon über 30 und noch nicht verheiratet. Kurz darauf droht sie auch noch ihren Job zu verlieren. Gerry schreibt Groschenromane, und das war seit einer ganzen Weile das Einzige, was ihr wirklich Spaß gemacht hat. Bei der Bestandsaufnahme ihres Lebens wird sich Gerri bewußt, in Bezug auf „Liebesleben, Arbeitsleben und sonstiges Leben“ sieht es bei ihr mehr als traurig aus. Nach intensiver Internetrecherche wird ihr klar: sie ist neurotisch-depressiv und kann die Welt nicht positiv sehen, auch wenn sie es wollte. Und schließlich drückt die Mutter ihr Unmengen alter Schlaftabletten in die Hand, die sie sich jahrelang gegen Schlaflosigkeit hatte verschreiben lassen, dann aber nie eingenommen hatte, denn sowas nimmt man ja nicht – wegen der ganzen Chemie.

Kurzum, damit ist für Gerry alles klar: sie wird Selbstmord begehen, sie weiß auch schon wie - Zufall konnte das mit den Tabletten ja nicht sein -, und weil Sternzeichen-Jungfrauen nun mal pünktlich und ordentlich sind, ist alles gut geplant und .. es geht schief. Aber Gerri hat die Abschiedsbriefe schon geschrieben, konsequenterweise auch schon verschickt - natürlich, denn Briefe bringt man zur Post, was sonst? - und die befinden sich unaufhaltsam auf dem Weg zu allen möglichen Verwandten, Freunden und sonstigen Personen ihres, wie ursprünglich geplant, weit hinter ihr liegenden Lebens. Diese Briefe, im Abstand von wenigen Seiten zuerst in Vorwegnahme, dann als Rückschau in die Handlung eingeschoben, sind wirklich nicht nett. Was dann an Auf- und Abwicklungen für Gerris Leben folgen, sind eine angenehme und gelungene Mischung aus Witz, Unterhaltung und unterschwelliger Lebensstütze.

Kerstin Gier hatte offenbar bereits einige Gelegenheiten, kauzige Menschen kennenzulernen, sie besitzt eine liebenswerte Beobachtungsgabe - gepaart mit Menschenkenntnis und ganz offenbar ein glückliches Händchen darin, das alles in leicht lesbaren Stoff zu verwandeln. Dabei will sich die Autorin, wie sie im Nachwort schreibt, weder "über Depressionen [..] und Menschen, die den Freitod wählen, lustig [..] machen oder das Thema in irgendeiner Weise verharmlosen". Und hat man sich erst festgelesen, dann lacht man auch über die ganz schwarzhumorigen Textstellen, z.B. über die, in der es darum geht, in vollem Ernst den richtigen Stil zu finden, um sich in einem schicken Kölner Hotelzimmer mit Rheinblick in den Schlaf und ans jenseitige Ufer zu befördern – und was man hernach leider alles nicht mehr erleben wird, worum man sich aber auch nicht mehr zu kümmern braucht.

Ich habe dieses Buch in kürzester Zeit durchgelesen, nicht um das Ende der Handlung zu erfahren, das ist nicht das Wertvollste an diesem Buch, nein: um einmal mehr geradegerückt zu werden: Du bist weder völlig durchgedreht, noch hast du die unmöglichste Verwandtschaft von allen denkbaren, und das Wichtigste im Leben ist sicherlich nicht, sich fortzupflanzen wie alle Deine Freunde.

(Charles Ott)

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