Kommentar
Kommentar vom 08.11.2002
Justitias Augenbinde - Der morgige 9. November wird sich von vielen vorangegangenen Tagen gleichen Datums unterscheiden. Morgen wird es einen Einschnitt in die Weimarer Nachkriegsgeschichte geben. Erstmals nach 1945 wird es Nationalsozialisten von Gesetz wegen erlaubt sein, Parolen skandierend durch die Weimarer Innenstadt zu ziehen. Wir wissen nicht im Voraus, welche Personen und thematischen Punkte ihnen als Angriffsfläche dienen werden.
Aber es spielt tatsächlich auch keine Rolle. Ihre Anwesenheit in dieser Stadt an sich ist Beleidigung und Demütigung zugleich. Beleidigung für alle diejenigen, die die Grausamkeiten vor den Toren der Stadt auf dem Ettersberg vor nicht all zu langer Zeit nicht überlebten. Demütigung für alle die, die mit ansehen mussten, wie Tausende totgeschuftet, verhungert oder erschossen irgendwo auf dem weiten Gelände des Konzentrationslagers Buchenwald liegen blieben. Demütigung für alle diejenigen, die sich einst geschworen haben, so etwas nie wieder zuzulassen.
Doch eine Demokratie, so heißt es, muss auch die andere Meinung tolerieren, und sei sie auch noch so Menschen verachtend. Natürlich, die Richter und Richterinnen am zuständigen Verwaltungsgericht entscheiden streng nach den Buchstaben des Gesetzes. Um dabei gerecht zu bleiben muss Justitia die Augenbinde aufbehalten. Und so sieht sie nicht, welch dunkle, welch blutrote Wolken sich da mit ihrer Billigung zusammenziehen. Die, die da morgen unter dem Schutz der Polizei durch dieses geschichtsträchtige Weimar marschieren wollen, kommen, um zu beleidigen und zu demütigen.
Dazu haben sie sich dieses Datum ausgesucht, dazu haben sie sich diesen Ort ausgesucht. Aus keinem anderen Grund werden sie hier sein. Doch wir werden das Unerträgliche nicht stillschweigend hinnehmen. Wir werden unsere Stimme erheben gegen diejenigen, die mit mörderischer Lust die Taten des Naziregimes verharmlosen. Wir, das bin ich, das bist du und das sind Tausende andere, die das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte nicht vergessen haben. Sagen wir Nein und schicken die Nazis nach Hause!
(Shanghai Drenger)