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Hörbuchrezension

Hörbuchrezension vom 09.09.2003

Heinrich Böll: Dr. Murkes gesammeltes Schweigen - Dieses Hörstück ist eine Rarität. Denn es beschäftigt sich mit dem Hörfunk und seinen Zwängen, seinen Abhängigkeiten, seinen Absurditäten und seinen Möglichkeiten zu manipulieren. Heinrich Bölls Satire spielt in den Fünfziger Jahren und nimmt auf bitterböse Weise den geschäftigen Betrieb einer Rundfunkanstalt aufs Korn, die sich der sogenannten Hochkultur verschrieben hat.

Da gibt es einen Professor Bur-Malottke, hofiert von einer Schar von Radiomachern - und hier besonders dem Intendanten - der auf die verschrobene Idee kommt das Wort "Gott" in seinem Vortrag durch "Jenes höhere Wesen, das wir verehren" ersetzen zu lassen. Ihm sind wohl plötzlich Zweifel gekommen. Die 27 Mal, die das nötig ist, führen "Jenes höhere Wesen, das wir verehren" ad absurdum. "Jenes höhere Wesen..." usw. hört sich im Nominativ, im Genitiv und im Dativ haargenau so an, wie im Vokativ. Und trotzdem muss der Professor genau diesen bis zur Verzweiflung wieder und wieder aufs Band sprechen, da der Produzent ansonsten keinesfalls die Verantwortung für das Endprodukt übernehmen kann. Murke, dem Produzenten, graut es inzwischen vor Bur-Malottke, er gerät in Angstzustände und genießt die ach zu schnell vergehenden Rachemomente, in denen er sagen kann: "Das müssen wir noch mal machen, Professor."

27 Mal "Gott" von Bur-Malottke bleiben irgendwie übrig. Niemand will sie haben. Man bewahrt sie in einer Zigarettenschachtel auf. "Was machen wir mit Bur-Malottkes Göttern?" fragt einer. "Wir heben sie auf. Vielleicht brauchen wir sie noch." Dr. Murke dagegen gilt als ziemlich seltsamer Kauz. Er sammelt Schweigen. Schweigen auf Band ist es, was er sich stundenlang anhören könnte. Besonders das von seiner Freundin gefällt ihm. Die findet unmenschlich, was er von ihr verlangt.

Die Sehnsucht nach heilsamem Schweigen ist es, die uns Murke sympathisch macht. Heute wie damals wird zu wenig geschwiegen. Wir zerren alles ans Licht, wir reden alles zu Tode, wir revidieren, was gestern noch unsere heilige Überzeugung war. Heute "Gott" - morgen "Jenes himmlische Wesen, das wir verehren." Schön unverbindlich, schön verwendbar, auch in unsicheren Zeiten. Man weiß nie, was kommt.

Und Radio, Fernsehen, Print- und sonstige Medien sind uns willkommene Werkzeuge beim Verschleiern gestriger Ansichten. Schneiden hier, kaschieren da, ein retuschierendes Händchen lässt uns die Sünden von heute morgen nicht bitter bereuen.

Das eben noch kulturelle Wort von Bur-Malottke kann einer Erneuerungskur unterzogen werden. Die Technik macht`s möglich. Dem Professor kommen plötzlich Bedenken. Was hat er nicht alles kurz nach '45 gesagt! Hören wir es lieber noch mal durch und schneiden, wir, was das Zeug hält! Damit kulturell auch heute bleibt, was es '45 schon mal war.

Bur-Malottkes Bänder haben nicht eine Sekunde kostbares Schweigen. Die heraus geschnittenen "Götter" aber - die können wir tatsächlich noch brauchen - eine Rede über den Sinn des Lebens weist zu viele Sekunden Schweigen auf, die werden mit fremden Göttern aufgefüllt. Heinrich Böll scheint Manchem verstaubt, ein Relikt der 68`. Die Revoluzzer haben ihn gern zitiert. Die sind in Deutschland längst verschwunden. Wir sollten zumindest seine Ode an das Schweigen entstauben. "Es wird nicht viel geschwiegen." sagt Murke. In den Fünfzigern war das also auch schon so.

"Dr. Murkes gesammeltes Schweigen" wird demnächst auf Radio Lotte in der Sendung "Ohrangeade" zu hören sein. Henning Venske, Hilmar Thate, Jürgen Thormann und andere haben unter der Regie von Hermann Naber schon 1986 das Lob des Schweigens gesungen. Mögen es sich zumindest einige Rundfunkanstalten auch heute noch zu Herzen nehmen! Schweigen an der richtigen Stelle scheint noch immer eine Kostbarkeit.

(Kathrin Witte)

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