Kommentar
Kommentar vom 06.07.2010
Alle gegen alle - So richtig überrascht war wohl niemand von der fast verstolperten Wahl Christian Wulffs zum neuen Bundespräsidenten. Mindestens 44 Abweichler gab es in den Reihen der Koalitionsparteien CDU/CSU und FDP und zeigte nur zu deutlich, wie brüchig inzwischen die Gefolgschaft im bürgerlichen Lager ist. Natürlich war weniger Wulff als vielmehr Merkel das Ziel der Stimmenverweigerung, aber wollte man das Ganze nur als Denkzettel abtun, liegt man gründlich daneben. Denn das Hauen und Stechen geht munter weiter. Und längst sind die Fronten unübersehbar. Es ist nicht mehr nur der Kampf zwischen Gurkentruppe und Wildsäue, wie unlängst die Koalitionspartner sich gegenseitig bezeichneten. Die Scharmützel sind weit verzweigt.
Nun auch noch die Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU und FDP gemeinsam gegen alle. Volker Kauder und Birgit Homburger wollen noch längere Laufzeiten für Atomkraftwerke durchsetzen. Ohne das Thema in ihren Fraktionen zu beraten und vor allem gegen die Linie von Umweltminister Norbert Röttgen. Kauder und Homburger wollen mindestens 15 Jahre, Röttgen maximal zehn. Kann sein, dass es nur ein „Böser Polizist, guter Polizist“-Spielchen ist, aber in den Fraktionen brodelt es, weil sie komplett übergangen werden sollen. So produziert man weitere Abweichler bei der nächsten Abstimmung.
Die schlechte Stimmung auf Bundesebene schlägt sich nun auch die Länder nieder. Jüngstes Beispiel: der Volksentscheid zum Rauchverbot in Bayern. Die bekennende Lobbyistenpartei FDP sprach sich vor der Abstimmung natürlich vehement gegen ein Rauchverbot aus und kritisiert nun die CSU scharf, weil sie im Vorfeld lieber rumgeeiert hat als eine klare Stellung zu beziehen.
Vermutlich werden sich CDU/CSU und FDP gerade so noch über die Sommerpause retten können. Dann aber könnte es richtig brenzlig werden. Die CDU verliert drei ihrer vier stellvertretenden Parteivorsitzenden: Nach Wulff werden auch Koch und Rüttgers ausscheiden. Der Kampf um die Pöstchen dürfte schnell an Fahrt zunehmen. Sollte es Merkel bis zum Bundesparteitag in Karlsruhe nicht gelingen, aus dem Umfragetief herauszukommen, könnte es auch zu einem Putsch gegen sie kommen. Wie vor 15 Jahren bei der SPD. Damals wurde deren Vorsitzender Rudolf Scharping demontiert. In Mannheim – ein paar Kilometer von Karlsruhe entfernt.
(Oliver Kröning)