Kommentar
Kommentar vom 21.09.2010
Die EU in der Krise - Es ist erst drei Jahre her, als man den 50. Jahrestag der Römischen Verträge, der Geburtsstunde der Europäischen Union, feierte. Und heute ist man an einem Punkt angelangt, an dem bezweifelt werden darf, ob Europa in den nächsten 50 Jahren noch näher zusammenrücken wird. Spätestens seit letzter Woche stellt sich vielmehr die Frage, ob sich die europäischen Partner wieder voneinander entfremden und zu der Idee des Nationalstaates zurückkehren. Gewiss, die Mitgliedsstaaten haben in den letzten Jahren erhebliche Kompetenzen an die Europäische Union abgetreten und möglicherweise ist dies nicht allen nationalen Regierungschefs im vollen Umfang klar. Aber ob es sich bei Sarkozys Skandalauftritt in Brüssel in der letzten Woche um das letzte nationale Aufbegehren vor der Kapitulation gegenüber Europa handelte, bleibt abzuwarten. Ebenso gut könnte das den Beginn der Rolle rückwärts nicht nur in Frankreich, sondern überall in Europa darstellen.
Schon seit längerem ist die xenophobe Stimmung in Frankreich mit Sorge zu betrachten. Anti-islamische Tendenzen sind unübersehbar, betrafen aber keinen der europäischen Partner. Nun aber werden rumänische Zigeuner deportiert und somit muss die EU eingreifen. Seit 2007 sind Rumänien und Bulgarien EU-Mitglieder, obwohl es massive Bedenken gegen die EU-Fähigkeit beider Länder gab. Korruption, organisiertes Verbrechen und auch das absehbare Ausnutzen der Freizügigkeit duch die dort lebenden Zigeuner hätten eigentlich Grund genug sein sollen, auf eine Aufnahme der beiden Staaten zu verzichten. Doch die EU wollte sich die Expansion in den ehemaligen Einflussbereich der Sowjetunion nicht entgehen lassen. Darum muss Europa jetzt auch die Verantwortung dafür tragen.
Deswegen hat die EU-Kommissarin Viviane Reding vollkommen recht, wenn sie auf Verfehlungen Frankreichs hinweist und ihre Sorge darüber ausdrückt, dass die Deportationen durch Frankreich einzigartig seit Ende des Zweiten Weltkrieges seien. Einen Vergleich mit dem Dritten Reich gab es zwar nicht, aber Sarkozy zieht sich trotzdem diesen Schuh an und poltert lautstark. Was trifft, trifft auch zu.
Dass er ferner sich in innerdeutsche Angelegenheiten mischt und über angebliche Roma-Lager in Deutschland schwadroniert, sorgt für einen historischen Tiefpunkt des deutsch-französischen Verhältnisses seit Gründung der damaligen Europäischen Wirtschaftsunion. Deutschland und Frankreich bildeten immer die Antriebsachse der EU. Solange Sarkozy Präsident ist, wird es sicherlich nicht weiter vorwärts gehen in Europa. Inzwischen erscheint selbst ein Scheitern der EU nicht mehr ausgeschlossen. Immerhin werden zwei der großen Länder Europas von mutmaßlich Verrückten regiert.
(Oliver Kröning)