Theaterkritik
Theaterkritik vom 09.12.2010
Der feurige Engel - (Bildnachweis: Erhard Driesel)
Tschaikowskys „Eugen Onegin“ hatte im Juni Premiere am DNT und keine sechs Monate später folgt eine zweite russische Oper; und zwar eine, die an bizarren Momenten kaum zu überbieten ist: „Der feurige Engel“ von Sergej Prokofjew. Angesiedelt ist die Oper in Köln und Umgebung des 16. Jahrhunderts. Renata ist besessen von ihrem ehemaligen Liebhaber, der sie verlassen hat. Sie glaubt, dass er eine Reinkarnation des feurigen Engels sei – ein Hirngespinst aus ihrer Kindheit. Und dann trifft sie den Söldner Ruprecht, dem sie ihre Geschichte erzählt. Ruprecht seinerseits verfällt nun Renata und hilft ihr, ihren Ex-Lover zu finden.
Was will uns diese Geschichte heute sagen? Und was wollte sie dem Komponisten vor rund 90 Jahren sagen? Die Oper basiert auf einem russischen Roman, der kurz vor dem Ersten Weltkrieg geschrieben wurde. Und er ist ein kaum verhülltes Portrait des Schriftstellers selbst, seiner unerwiderten Liebe zu einer real existierenden Femme fatale und deren Hingabe an einen Dichterkollegen. Eine Amour fou im späten Zarenreich also, russisch-symbolistisch überdreht. Man könnte auch sagen: völlig abgefahren.
Kein Wunder also, dass diese Oper äußerst selten auf den Spielplänen der Theater zu finden ist. In dieser Spielzeit ist Weimar das einzige Haus weltweit, das den „feurigen Engel“ inszeniert. Und zwar in deutscher Sprache. Mehrere Russen des Weimarer Ensembles sind an dieser Inszenierung nicht einmal beteiligt. Allerdings sind Renatus Mészár als Ruprecht und Kirsten Blanck als Renata äußerst souveräne Besetzungen, denen es gelingt, diese Oper mit Leben zu füllen; mehr noch: das zutiefst Absonderliche glaubhaft rüberzubringen. „Gar seltsam sind die Worte“, kommentiert Ruprecht Renatas Klagelied. Nicht minder seltsam ist es, dass er sich auf ihren Wahnsinn einlässt. Und dennoch gelingt es, die tiefe Verstörung immer wieder aufzubrechen und am Unbewussten zu kratzen.
Für eine weitere Irritation sorgt die Weimarer Inszenierung von Christian Sedelmayer selbst. Im Schlussakt singt Renatus Mészár auch den Inquisitor, der Renata dem Scheiterhaufen übergibt. Doch wird dabei auf die erste Fassung von Prokofjews „feurigem Engel“ zurückgegriffen, in der Ruprecht und Inquisitor eins werden. Insgesamt ist die Aufführung eine sehr souveräne Leistung aller Solisten, aber auch von Chor und Orchester. Der stürmische Applaus beweist, dass man auch schwer zugängliche Stücke mit Erfolg verkaufen kann.
Der feurige Engel (Sergej Prokofjew)
Regie: Christian Sedelmayer
Premiere: 04.12.2010, Weimar, DNT, Großes Haus
(Oliver Kröning)