Buchrezension
Buchrezension vom 12.01.2011
Renée Sintenis - Berlin, Boheme und Ringelnatz - Das Leben bringt manchmal wirkliche Überraschungen mit sich. So auch kürzlich, als ich beim Osburg-Verlag ein Rezensionsexemplar vorbestellen wollte. Die Antwort kam prompt, auch das Versprechen, das bestellte Buch so bald als möglich zu schicken, doch nebenbei auch die Anfrage ob ich nicht Interesse hätte, eine Biografie der Bildhauerin Renée Sintenis unter die Lupe zu nehmen.
Nun kannte ich die Bildhauerin noch nicht, d.h., manches mir bekannte Werk habe ich bisher nicht mit ihr in Verbindung gebracht. Doch dazu später.
Und so kam ich zu einem dicken Band der Biografie „Renée Sintenis“, Untertitel: „Berlin, Boheme und Ringelnatz“.
Renée Sintenis, 1888 im schlesischen Gratz unter dem Namen Renate Alice Sintenis geboren, wächst im brandenburgischen Städtchen Neuruppin auf, muss später mit ihrer Familie nach Stuttgart ziehen und schließlich in die Weltmetropole Berlin. Sintenis war eine schillernde Figur der Berliner Kunstszene der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Vor allem mit Kleinplastiken in denen sie auf ganz eigene Weise vorrangig Tiere formte, erarbeitete sie sich so etwas wie Weltruhm, wenn auch unter schwierigen Bedingungen.
In damaliger Zeit war der Beruf des Bidhauers eine Männerdomäne und der Trend ging zu monumentalen Großskulpturen. Zahlreiche Denkmale künden davon. Um so ungewöhnlicher und um so beachtlicher auch ist der Weg der Sintenis zu werten, die sich willensstark durchsetzte und zunächst mit einem Studium an der Unterichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums erste künstlerische Schritte geht. Einen Abschluss macht sie aber nicht. Dennoch findet sie einflussreiche Freunde, wie den Galeristen Alfred Flechtheim, der sie zu seinen aufregenden so genannten „Querschnitts-Bällen“, bezugnehmend auf die gleichnamige flechtheimsche Kunstzeitschrift, einlädt und ihr auch erste Ausstellungen zuteil werden lässt.
Bald schon ist „die Sintenis“, wie sie von allen betitelt wird, ein fester Bestandteil dieser Feste. Wenn auch nicht aktiv, so ist sie doch scheinbar als „Staffage“ immer dabei und auf Grund ihrer grazilen Erscheinung, Sintenis ist fast einsneunzig groß und sehr zurückhaltend, von allen bewundert. In dieser aufregenden Zeit der allgemeinen Depression heiratet sie den Professor für Dekorative Wandmalerei und Musterzeichnen Emil Rudolf Weiß, der ihr Zeit seines Lebens, so er kann, zur Seite steht.
Der Stern der Sintenis allerdings wird mit Beginn der Herrschaft der Nationalsozialisten vom Himmel geholt. Als so genannte „Vierteljüdin“ wird Renée Sintenis aus der Akademie der Künste ausgeschlossen. Viele ihrer Werke dürfen nicht mehr gezeigt werden und gelten als „unarisch“ und „entartet“. Dennoch gelingt es Sintenis ihren Wohnsitz in Berlin zu behalten und selbst während der ideologisch heißesten Phase der Naziherrschaft gibt es immer wieder Galeristen und Museumsleiter, die hier und da eine ihrer Plastiken ausstellen.
Tiefer möchte ich an dieser Stelle nicht in das Leben der Künstlerin eintauchen, denn wollte ich das, so müsste ich das Buch vorlesen. Das aber möchte ich gerne Ihnen selbst überlassen, denn ich kann es nur wärmstens empfehlen, auch wenn stetige LeserInnen von Biografien zunächst verwirrt sein werden.
Die Autorin Silke Kettelhake hat sich offenbar Zeit genommen, das Leben der Bildhauerin darzustellen. Ein positiver Umstand für einen, in diesem Fall, unvorbereiteteten Leser. Die Biografie ist dann doch etwas mehr als ein schlichter Rückblick auf ein bewegtes Leben, doch was heißt etwas, es ist viel mehr. Ein wahres Geschichtsbuch ist es und, wie ich finde, beinahe lesbar wie ein Roman. Neben Renée Sintenis selbst bekommen die Leserinnen und Leser beinahe die gesamte Kunstwelt der damaligen Zeit auf dem Tablett serviert. Zahlreiche Dichter, Maler, Schauspieler, Schriftsteller, Journalisten, Tänzer, Kunsthändler, Galeristen und, und, und, tummeln sich im weiten Umfeld der Bildhauerin und verschmelzen wahrlich zu einem illustren Ensemble, welches mehr oder weniger gemeinsam einem unheilvollen Ende zustrebt. Mehr Spannung ist aus bekannter Geschichte eigentlich kaum herauszuholen, doch Kettelhake ist es bravourös gelungen.
Zwar fragt man sich häufiger mal, warum nimmt die Sintenis selbst eigentlich vergleichsweise wenig Raum ein in diesem Buch, ich schätze es ist etwa die Hälfte, doch hat man es erst mal gelesen, erschließt sich die Antwort auf diese Frage ganz von selbst. Künstler brauchen, selbst wenn sie sehr introvertiert sind, aber Erfolg haben wollen, eben ein Umfeld. Ein Umfeld personeller, als auch geistiger Art, brauchen Eindrücke, die sie nach entsprechender Filterung wiederum in Ausdrücke umwandeln können. Eben dieses Umfeld zu schildern, darzustellen und verständlich zu machen ist der Autorin glanzvoll gelungen. Selbst die manchesmal wirr und scheinbar zusammenhangslos dargestellten Geschichtstermine ergeben am Ende eine durch und durch runde und schlüssige Kulisse für das Leben und Werk der Bildhauerin Renée Sintenis.
Ach ja, ich erwähnte eingangs, dass ich doch zumindest eine der Plastiken der Sintenis kenne. Es ist der stehende Berliner Bär, der auf dem Mittelstreifen der Autobahn 115 am ehemaligen Grenzübergang Dreilinden in Berlin, seit 1957 die Vorbeifahrenden grüßt. Eine kleinere Form desselben, leicht abgewandelt, wird alljährlich beim Berlinale-Filmfestival verliehen. Ein Gruß einer Künstlerin, die Jahre lang die wohl schwerste Krankheit der Stadt Berlin in deren Innerstem am eigenen Leibe erfahren hat.
Shanghai Drenger / Januar 2011
Silke Kettelhake
„Renée Sintenis – Berlin, Boheme und Ringelnatz“
Osburg-Verlag
480 Seiten
ISBN 978-3-940731-51-7
Preis: 22,90 €
(Shanghai Drenger)