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Theaterkritik

Theaterkritik vom 24.01.2011

Erfurt 76 - „Erfurt 76“ - das ist der Titel einer Revue, die am Freitag- und am Sonnabend-Abend an der Universität Erfurt über die Bühne ging.
Eine Revue in der Universität?... Das hört sich ungewöhnlich an.

Tatsächlich; es war kein alltägliches Projekt:
Schon die Idee, dann der Probenprozess der Akteure (das waren Studenten im Rahmen eines Studium Fundamentale) und nicht alltäglich war auch der Veranstaltungsort.
Um mit dem Ort zu beginnen: In der Nordhäuser Straße in Erfurt steht der Gebäudekomplex der Universität mit dem Audimax. Der Bau kann, trotz neuem Farbanstrich, den Charme sozialistischer Architektur nicht verleugnen: Säulen am Eingang, Mosaikbilder im Arbeiterfiguren an den Wänden im sehr großen Treppenhaus, dann der riesige, -eigentlich triste-, Saal... Und eben dieses Ambiente fanden die Studenten und Dozenten als Theatermacher sehr reizvoll, und vor allem auch sehr passend zu den Inhalten ihrer
Aufführung. Mit Ausnahme seiner Akustik eignete sich der Raum auch tatsächlich besser als jedes Theater für dieses Stück.

Bei „Erfurt 76“ handelt es sich um die Darstellung eines Ereignisses, das an dieser Uni stattgefunden hat (Die Uni war damals –1976- noch Pädagogische Hochschule): Dort beginnt eine Abiturientin ihr Studium. Sie entdeckt eine neue Welt und ihre Pläne fliegen hoch; denn sie will als gute Pädagogin die Welt verändern. Und das durchaus im Sinne des Sozialismus.
Aber Willkür und Intoleranz beenden jeden Traum. Freunde und Mitschüler wenden sich immer mehr ab von ihr, ja sie üben schließlich Verrat, nachdem sie von der Hochschulleitung unter Druck gesetzt wurden. Für die junge Studentin aber folgen Strafprozess und Frauenhaftanstalt...
Das ganze basiert auf der Grundlage des Buches „ grenzen los fremd gehen“ von Gabriele Stötzer, die als Künstlerin in Erfurt lebt.

Das ist kein heiterer Stoff. Solch ein politisch-dokumentarischer Inhalt verlangt doch höchste Präzision. Kann man denn das überhaupt in Form einer Revue präsentieren?

Ja, diese Frage hat mich auch neugierig auf die Aufführung gemacht.
Aber für solch eine Form scheint es ja derzeit auch einen großen Bedarf zu geben. Ich erinnere nur an das Udo Lindenberg-Musical „Mädchen aus Ostberlin“, das ebenfalls vor ein paar Tagen erst Premiere in Berlin hatte.
Das Thema DDR interessiert nach wie vor, auch junge Leute. Im brechend vollen Saal des Erfurter Audimax (und der fasst immerhin mehrere hundert Plätze) waren zumeist Studenten anwesend, die die DDR nicht mehr erlebt haben. Das ist Geschichte für sie. Und wenn man Geschichte vom Katheder herab interpretiert, wird man schnell überdrüssig von ihr.
Da bietet sich mitunter auch solch eine Unterhaltungskunstform für die Vermittlung an. Freilich liegt in dieser Form auch eine sehr große Gefahr, zu platt und zu plakativ zu wirken.
Aber eine Revue ist im Sinne der Bildung eh nur geeignet, Aufmerksamkeit auf ein Thema zu lenken. Und das gelingt nur, wenn das Ganze auch qualitativ gut gemacht ist. Was langweilt, weckt kein Interesse...

Demnach eine schwierige Aufgabe für Studenten, die aus verschiedenen Studiengängen, nicht aber unbedingt vom künstlerischen Fach, kommen. Haben sie es gemeistert?

Die Szene 1 hieß „FDJler Tanz“. Das war aber eher ein Marschieren im Blauhemd, anstelle eines Tanzes. In dem Moment dachte ich noch: O je!
Überhaupt wurden viele Inhalte von Bewegungsabläufen vieler Akteure gleichzeitig auf der Bühne untermalt. Und von Szene zu Szene wurde das dann auch lockerer, und mitunter richtig gut. Das gleiche gilt auch für die Sprache, die eingangs noch wie Rezitationen aus dem Schulunterricht klangen, im Verlaufe der Handlung dann aber den Fluss des Spiels aufgenommen.

Und dann muss ich die schönen Bilder erwähnen, die man inszeniert hat.
Es war ein Mosaik an Szenen – Texte, Lieder und Tänze, auch Musikeinspiele (beispielsweise Lieder von Biermann – seine Ausbürgerung aus der DDR erfolgte ja im Jahr 76) - Und dann gab es dazu noch ein ergänzendes Videoeinspiel (Dokumente, welche die Handlung illustrierten, bildkünstlerische Projektionen und eine ins Heute führende Rahmenhandlung...) – All das ergab schließlich eine bewegte Handlung. Und all das passte auch dramaturgisch gut zusammen. Da war kein Krampf, wie man ihn ansonsten ziemlich oft bei solchen multipel montierten Kunstformen erlebt.

Wenn ich vorhin davon sprach, dass solch eine Handlung, - an die sich die Studenten mit ihrer Darstellung gewagt haben -, Qualität verlangt, dann kann ich die im Falle von „Erfurt 76“ bestätigen - und zwar nicht im Sinne von künstlerischen Höchstleistungen, sondern in dem Sinne, dass man das, was man konnte, auch gut gemacht hat. Und sich nicht überfordert hat dabei.
Das hat Peinlichkeiten vermieden und blieb daher immer auch sehenswert.

Wer verbirgt sich hinter den Machern?

Die Darsteller waren, wie gesagt, Studenten im Rahmen des Studium Fundamentale an der Erfurter Universität.
Seit einem dreiviertel Jahr haben 35 Akteure nicht nur an der Aufführung gearbeitet, sondern sich auch als Geschichtsforscher und Interviewer von Zeitzeugen versucht. Professorin Dagmar Demming, selbst einst DDR-Flüchtling, hatte die Idee, und Frieder W. Bergner und Silke Gonska, die beiden in unserer Region gut bekannten Jazzmusiker, haben das Stück als szenisch-musikalische Collage eingerichtet.
Es war ein schwieriges Stück, aber interessant inszeniert und schön montiert. Da war alles dabei, was man sich von solch einem Unterfangen wünscht: Frische, Information, auch Humor, und sogar auch ergreifende Szenen.
Und man ist der größten dramaturgischen Gefahr entgangen, indem man die DDR nicht einfach nur platt auf die Bühne gebracht hat, sondern klug sezierte.

(Wolfgang Renner)

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