Kommentar
Kommentar vom 17.10.2003
Rendezvous mit einer Akte - Wer Käse mag oder Golf spielt, weiß, es gibt Löcher. Die Schotten sprechen von Loch Ness, Astrophysiker von einem schwarzen und Wind kann auch aus sämtlichen Löchern wehen. Im gut abgedichteten ehemaligen Nazi-Trutzbau des heutigen Finanzministeriums pfeift man gerade. Und zwar aus dem letzten. Hans Eichels graues Beamtenheer mit der ewig klammen Börse sucht verzweifelt nach Möglichkeiten, um ein gigantisches Haushaltsloch zu stopfen, für das man bisher schon die Brille des Finanzministers aufsetzen mußte, um es langfristig zu übersehen. Doch jetzt durchfurchen Sorgenfalten das sonst blanke Stirn-Feld von Deutschlands einstigem Sparkommissar. Jetzt muß er 80 Millionen Deutschen erklären, daß jeder einzelne mit einer Summe in der Kreide steht, von der man sich locker ein neues Auto kaufen könnte. Die Staatsverschuldung machts möglich.
Wer hätte gedacht, daß der so harmlos wirkende, seitenscheitelbeschwerte Weinliebhaber Eichel, den man höchstens eine nächtliche Affäre mit einer gutgebauten Akte zugetraut hätte und an dem allenfalls die Bügelfalten durch ihre Schärfe auffallen, - wer hätte geglaubt, daß der so korrekt scheinende Hans einmal als Verkünder des Schuldenrekords der gesamten deutschen Nachkriegsgeschichte herhalten muß? Und dabei ist noch nicht mal Weihnachten. Es gibt also noch Grund zur Hoffnung, daß der Herr der Zahlen in den nächsten zwei Monaten noch eine Korrektur nach oben vollführen wird. Aber beklagen können wir uns ja als Lochliebhaber nicht. Höchstens eines vorstellen, das voluminös genug ist, um eine solche Masse fehlender Scheine aufzunehmen. Loch Ness vielleicht? Abgelegen und tief genug für die arg im Rudern begriffene Finanz-Titanic ist der See ja. Das schwarze Loch im Weltall? Auf jeden Fall ausreichend, um die ungeliebte "Rentnerprise" mit Ulla Schmidt an Bord auf Mission ohne Wiederkehr zu schicken und die zwei Milliarden Euro zu behalten, die ihr Ministerium einst für Captain Eichel abdrücken wollte und jetzt einfach drauf sitzenbleibt. Wer Ulla schon mal gesehen hat, weiß, daß der Zweikampf darum nicht gut für unseren Schmalhans ausgehen kann.
Vielleicht sollte er sich mal in der Kunst des Drohens versuchen? Zum Beispiel wie Fraktionschef Müntefering, der heimlich überlegt, von der SPD-Zentrale aus steuerbare Stromstoßanlagen unter die Bundestagssitze der Abstimmungs-Abweichler zu installieren, damit ihr Arm zur richtigen Zeit in die Höhe schnellt. Oder gleich wie sein Chef und Bundeskanzler Gerhard, der schon für den kommenden Freitag übt, wenn sein Reformprojekt in den Bundestag zur Abstimmung gebracht wird. Denn Gerhardt weiß, daß, wer lange genug mit Rücktritt droht, nicht mehr dazu gezwungen werden kann.
Für den grauen Eichel allerdings ein heikles Unterfangen, denn die Regierung verhandelt bereits über die Spannbreite zumutbarer Jobs für Arbeitslose und bei Eichel besteht immerhin die Möglichkeit, daß sein nobles Ersuchen um Amtsniederlegung angenommen wird. Und von seinem Vorgänger Lafontaine weiß er, daß das eine ziemlich langweilige Angelegenheit werden kann. Neben Bücherschreiben droht immerhin die Möglichkeit, dem gefürchteten Bürger das komplizierte Steuersystem, an dem man bisher selber herumgebasteln durfte, in einem persönlichen Gespräch erklären zu müssen. Man ist ja aufs Honorar angewiesen.
Aber Eichel kann sich trösten. Es gibt ja schließlich noch die Geschichtsbücher, die zwar im Rufe stehen, schon so mancher Größe die verdiente Aufnahme ins geschriebene Gedächtnis verweigert zu haben. Aber das kann unserem Finanzminister nicht passieren. Denn an der Stelle seines Namens werden die goldenen Blätter einmal nichts weniger ein gigantisches Loch aufweisen. So loch, Herr Finanzminister!
(Herdis Helgenberger)