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Kommentar

Kommentar vom 14.11.2003

No-go-area Goetheplatz: Und ewig grüßt das Murmeltier - Ein brutaler Übergriff auf zwei koreanische Studentinnen der Bauhaus-Universität ist bekannt geworden. Die Aussagen des Verbandes ausländischer Studierender in Weimar machen es für alle klar: das war kein Einzelfall. Das ist für Studenten aus aller Welt Alltag. Rassistischer Alltag in Deutschland. Hohe Dunkelziffer. Und dabei geht es keineswegs nur um „Skinheads“ oder „Neonazis“, es geht um eine verbreitete rassistische Stimmung in goßen Teilen der Bevölkerung.

Wer jetzt den Eindruck hat, er habe diese Sätze schon mal gehört; wer sich dunkel erinnert, in der Lokalpresse schon ähnliche betroffenheits-triefende Artikel gelesen zu haben wie gestern; wer glaubt, das Hamsterrad der Betroffenheit schon mal surren gehört zu haben; der oder die hat recht!

Stellen wir also mal kurz die gesicherten Eckdaten fest: Menschen, die als Nicht-Deutsche wahrgenommen werden, laufen AUCH in Weimar Gefahr angepöbelt, beleidigt und angegriffen zu werden; das meiste davon, das bestätigen die Interessenvertreter der Betroffenen, findet im nicht fassbaren Bereich der Dunkelziffern statt, der dem Ansehen der Stadt nicht schadet; Fälle, die bekannt werden, sind selten;
Noch etwas? Nein, das war’s.
Aber dass es da Zusammenhänge gibt, die im Jahreslauf gerne ignoriert werden, ist wieder einmal nicht Thema der Debatte. Eine hohe Dunkelziffer ist natürlich nicht quantifizierbar, sie taucht jedoch auch nicht in Lage-Einschätzungen der Polizei auf: die Polizei macht stets deutlich, dass sie sich an harten Fakten – d.h. Straftaten, Anzeigen, Einsätzen usw. – zu orientieren hat bei ihren Lageberichten; trotzdem wissen alle, dass es diese Grauzone gibt und dass sie durchaus erhebliche Dimensionen haben könnte. Tatsachen, die sich auch mit küchen-soziologischen Kenntnissen erschließen lassen, sind aber auch: Betroffen sind nicht nur ausländische Studierende, sondern auch Flüchtlinge, Asylsuchende, MigrantInnen und Touristen – hier wird erst erahnbar, was sich hinter dem Wort Dunkelziffer verbergen könnte. Betroffene können sich – meist mangels Sprachkenntnissen, nicht um ihre Rechte wissend oder wo sie Hilfe bekommen könnten – nicht wehren; die wenigsten Angriffe und Pöbeleien kommen also zur Anzeige und sind so dokumentierbar; viele Ausländerinnen und Ausländer, vor allem aber betroffene Flüchtlinge und Asylbewerber, kämen jedoch auch dann nicht auf die Idee, Anzeige zu erstatten, wenn sie diese Möglichkeit kennen: zu schlecht sind die Erfahrungen mit den Ordnungshütern. Das Zutrauen in die Polizei ist nicht groß, die Fälle eklatanten Fehlverhaltens in Sachen Rassismus eingesetzter Beamter Legion und mangelnde Sensibilität an der Tagesordnung.
Eine Presse-Erklärung der Erfurter Opferberatungsstelle ABAD von dieser Woche macht diesen Umstand deutlich: wo in die Beratung der Institution dokumentierbar zahlreiche Betroffene kommen, gibt er’s in der offiziellen Statistik des Innenministeriums keine entsprechenden „Fallzahlen“.
Dabei kann auch der Laie die einschlägigen Brennpunkte in der Stadt mit bloßem Auge ausmachen: an den immer gleichen Stellen und zu den einschlägigen Events treffen sich die jungen Männer – beileibe nicht nur glasklare Skinheads – mit den T-Shirt-Slogans der Unmenschen, mit der Markenware der Rassisten und der Haltung verhinderter Herrenmenschen. Bierbörse, Zwiebelmarkt und Kirmes - Goetheplatz, Theaterplatz und zu den üblichen Schulschlusszeiten der Bahnhof sind Tummelplätze einer amorphen rechten Szene, der es womöglich an Organisiertheit mangelt, nicht aber an dumpfer, mit Alkohol katalysierter Aggressivität. Ganz zu schweigen im übrigen von all den „unsichtbaren“ Rassisten, die als ausländisch erkannten Personen im Supermarkt hinterher schleichen, mal eine rasche Beschimpfung im Vorübergehen loslassen oder am Ladentresen oder der Supermarktkasse in ungeduldig-verächtlichen Ton ihre Haltung zu Nicht-Volksgenossen dokumentieren.
Brennpunkte Theaterplatz und Goetheplatz Fragezeichen? Haben wir davon nicht in letzter Zeit immer wieder was gehört?
Ein Schelm, wer hier an Video-Überwachung des Goetheplatzes denkt.
Dann hätte man vielleicht wenigstens verwertbares Material gegen die Täter im Brennpunkt.
Aber gegen die anderen, nicht uniformierten Rassisten, die das Land zu einem unwirtlichen und gefährlichen Ort machen, kann man auch mit diesen Methoden keine Erkenntnisse sammeln.

(Fritz Burschel)

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