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Buchrezension

Buchrezension vom 05.05.2011

"Der Mann, der ins KZ einbrach" von Denis Avey und Rob Broomby - Sollte es tatsächlich solch einen Verrückten gegeben haben, der in ein Konzentrationslager der deutschen Nationalsozialisten eingebrochen ist? Und, wenn ja, warum sollte er dies getan haben und was hat er dort gesucht?
Nun, um genau zu sein, der Titel des Buches von Denis Avey, welches er gemeinsam mit dem BBC-Journalisten Rob Broomby veröffentlichte, klingt ein wenig reißerisch – einerseits – ein Einbruch in ein KZ; andererseits: im Angesicht jener dortigen Ereignisse war ein solcher Einbruch wohl überhaupt nichts. Und, um noch genauer zu sein, es handelte sich nicht einmal um einen Einbruch im klassischen Sinne – aber dazu gleich mehr.

Denis Avey hat dieses Buch gemeinsam mit Rob Broomby veröffentlicht, einem BBC-Reporter, denn Denis Avey ist kein Schriftsteller. Denis Avey ist heute ein alter Mann, der ein junger war, als der 2. Weltkrieg ausbrach. Heißblütig und ungeduldig, so beschreibt er sich selbst in seiner Jugend und vor allem eines: abenteuerlustig. Und das ist auch der Grund dafür, dass sich der junge Mann freiwillig zum Militär meldet, eine Ausbildung erhält und sich schon bald auf einem Schiff in Richtung Afrika befindet. Via das Kap der guten Hoffnung erobern die Briten den heißen Kontinent, liefern sich Schlachten mit Mussolinis Truppen, erobern Tripolis, werden von den Deutschen schließlich in Bedrängnis gebracht und müssen sich wieder zurückziehen.
Denis Avey ist dabei ein Draufgänger, nicht brutal unbedingt, doch wagemutig und in letzter Konsequenz entschlossen das eigene Leben zu retten. Avey ist Kundschafter im Wüstenkampf, geht nachts immer wieder quer durch die Stellungen des Gegners, erforscht dessen Truppenstärke und Ausrüstung und hofft inständig, dass er von niemandem entdeckt wird. Zwischendurch repariert er seinen Bren-Gun-Carrier, ein leichtes Kettenfahrzeug, ein rollendes MG-Nest, wenn man so will, steuert es tapfer durch den Wüstensand und Schlachtenstaub. Doch eines Tages geht es nicht mehr gut und Avey gerät in Gefangenschaft. Mehrmals gelingt ihm die Flucht aus dieser Falle, stets auf sich allein gestellt und mittellos treibt er mal im Mittelmeer oder trottet hungrig durch die Nächte Südeuropas zu Fuß auf dem Weg zur britischen Insel.

Doch das kann nicht gut gehen letzten Endes und er gerät irgendwann in deutsche Kriegsgefangenschaft und landet schließlich im Krigesgefangenenlager E 715, ganz in der Nähe von Auschwitz und in mittelbarer Nachbarschaft zum Lager Auschwitz III, genannt Auschwitz-Monowitz. Gemeinsam mit jüdischen Häftlingen müssen die dort festgesetzten britischen Soldaten Zwangsarbeit auf der Buna-Baustelle der IG Farben leisten. Doch während die Briten jeden Tag wieder zur Arbeit erscheinen, trotz Hungers oder durch Krankheiten geschwächt, ist das bei den jüdischen Arbeitern, den Gestreiften, wie sie wegen ihrer Kleidung genannt werden, nicht so. Bei ihnen fehlt manchmal einer der gestern noch da war. Und das fällt nicht nur Avey auf.
Die Soldaten fragen nach bei den jüdischen Häftlingen und dann heißt es etwa: der ist durch den Kamin gegangen. Unvorstellbar …

Und so kommt Avey eines Tages auf den Gedanken, nachdem er einen jüdischen Häftling etwas näher kennegelernt hat, mit diesem für eine Nacht die Rollen zu tauschen. Ernst, so heißt der etwa gleichaltrige Mann, hat eine Schwester in England, die über Emigrationsprogramme von Breslau nach Birmingham gekommen ist. Avey schickt seiner Mutter über die Rot-Kreuz-Post deren Adresse, lässt Kontakt aufnehmen und bittet die Schwester ihrem Bruder Zigaretten zukommen zu lassen. Wenn möglich viele, denn Zigaretten sind in den Lagern die beste Währung und Gold und möglicherweise mehr wert. Als die ersten Schachteln eintreffen setzen Ernst und Denis Avey ihren Plan um. Sie bestechen einen Kapo, der den Marsch der Häftlinge vom Lager auf die Baustelle begleitet und weihen die nötigen Personen in ihren Plan ein.
Und so erlebt Avey zunächst einen Rückmarsch ins Lager, einen Abendappell und eine Nacht unter den unglaublichen Bedingungen von Auschwitz III. Ohne es genau zu wissen, befindet sich Avey in der Vorhölle, denn was im benachbarten Lager Auschwitz-Birkenau passiert, darüber wird auch in Auschwitz III nur gemutmaßt.

Ein britischer Soldat im Vernichtungslager. Freiwillig hat Avey den Schutz der Genfer Konventionen als Kriegsgefangener hergegeben. Ist das Heldentum?
Nein, erklärt Avey heute, er wollte nur sehen was passierte, um vielleicht später, wenn die Deutschen besiegt seien, das Unglaubliche bezeugen zu können.
Doch es kam anders.

Avey überlebte auch die Evakuierungsmärsche kurz vor Kriegsende und ihm gelang schließlich wieder einmal die Flucht. Das Kriegsende selbst erlebt er wieder zu Hause bei seiner Mutter.
Bald darauf setzt er sich in den Zug und besucht Susan, die Schwester des Juden Ernst, dessen richtigen Nachnamen er nicht einmal kennt. Doch wie soll er ihr gegenüber treten? Er ist wieder zu Hause. Aber Ernst? Der kann die unsäglichen Todesmärsche unmöglich überlebt haben. Sollte er es der Schwester so direkt sagen? Schließlich belässt er es dabei ihr auszurichten, dass ihre Zigarettensendungen ihrem Bruder das Leben sehr erleichtert haben.
Doch auch anderen gegenüber fällt es Avey schwer über das Erlebte zu reden. Bald bemerkt er, dass die britische Öffentlichkeit kein Interesse an den Berichten aus den Gefangenenlagern hat. Die Öffentlichkeit will Heldengeschichten hören und nicht von Leuten, die in Gefangenschaft in vermeintlicher Warteposition lagen. Und so wird Avey verschlossener, konzentriert sich auf seine berufliche Laufbahn und wird allmählich zum alten Mann.

Bis eines Tages Rob Broomby, der BBC-Mann, bei ihm anklopft. Der stößt bei Recherchen über Entschädigungszahlungen für ehemalige Zwangsarbeiter auf Aveys Geschichte. Avey fängt an zu erzählen. Broomby fängt an zu recherchieren. Und so kommt es eines Tages zum erneuten Treffen mit Susan, der Schwester von Ernst. Diesmal allerdings gibt es mehr zu erzählen, denn wie sich herausstellt, hat Ernst tatsächlich überlebt – was ihm ohne Denis Avey vermutlich nicht gelungen wäre.

Heute ist Denis Avey über 90 Jahre alt und wurde im vergangenen Jahr vom britischen Premierminister als „Hero of the Holocaust“ ausgezeichnet.
„Der Mann, der ins KZ einbrach“ ist kein Heldenroman, das Buch ist kein Krimi und es ist keine erfundene Geschichte. Das Buch ist ein Geschichtsbuch von der feineren Sorte, ein Zeitzeugen-Report, spannend erzählt, es wirft Fragen auf, liefert aber letzten Endes auch die Antworten dazu.

Denis Avey und Rob Broomby
„Der Mann, der ins KZ einbrach“
Verlag: LÜBBE-Ehrenwirt
350 Seiten, Preis: 19,99 €
ISBN 978-3-431-03839-2

Shanghai Drenger für Radio LOTTE Weimar
06-05-11

(Shanghai Drenger)

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