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Kulturrückblick

Kulturrückblick vom 06.05.2011

Quo vadis Soziokultur? - Antonia Woitschefski:
Gelegentlich – und immer mal wieder – hört man in Thüringen etwas von Soziokultur. Kürzlich, als der Thüringer Kulturrat gegründet wurde, da war die Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur eines der acht Gründungsmitglieder. Und als die Thüringische Landesregierung im Februar dieses Jahres die Entwicklung eines „Leitbildes Kulturland Thüringen“ beschloss, da waren zuvor die Vertreter der Soziokultur federführend mitbeteiligt gewesen.
Nun hat der Verband gestern zu einer außerordentlichen Mitglieder-versammlung nach Weimar eingeladen, um – wie es in der Einladung hieß – Wirkungen, Möglichkeiten und Perspektiven der Soziokultur in Thüringen zu diskutieren und über Positionen, Erwartungen und Forderungen an das Landeskulturkonzept zu beraten.
Wolfgang, Du warst gestern bei der Mitgliederversammlung anwesend. Welche Wirkungen hat denn nun die Soziokultur in Thüringen?

Wolfgang Renner:
Nicht nur ich war gestern bei der Versammlung, sondern man muss ja sagen: Radio LoTTe war dabei. Der Radioverein ist auch Mitglied in der LAG, eines von insgesamt 68 Mitgliedern.

Vielleicht erkläre ich vorweg ganz kurz, was es mit dem Verband auf sich hat. Da wird vieles schon deutlich hinsichtlich seiner Wirksamkeit.
Seit 18 Jahren gibt es jetzt diesen Zusammenschluss. Vereint sind dort meist freie Träger, Kulturinitiativen, die oft noch zudem ein Haus als kulturelle Einrichtung in der Rechtsträgerschaft eines Vereins betreiben.
In Weimar gehören dazu: das ACC, der C-Keller, der Kasseturm, beide Häuser der Gerberstraße, das e-Werk, das Gaswerk, das „mon ami“, aber auch das „D.A.S.Theater“, der Zirkus „Tasifan“, der Tragwerk e.V. und noch einige mehr. Und dann natürlich Radio LoTTe, das mit seiner Hülle, dem Lesetempel am Goetheplatz, ebenfalls ein soziokulturelles Zentrum ist.
All diese Einrichtungen haben Gemeinsamkeiten: z.B. dass ihre Arbeit offen für viele Nutzer bleibt, dass kreative Teilhabe an der Vereinsarbeit ein ganz wichtiger Grundsatz ist und dass die Kulturarbeit, - ob professionell oder als Laienkultur -, nie Selbstzweck wird, sondern immer in die Gesellschaft hinein wirken mag.

Damit ist Soziokultur sparten-übergreifend: Sie ist Kunst, Bildungsarbeit und Kulturpädagogik, Sozialarbeit und manches mehr. Und eben diese Grenzüberschreitungen sind dann auch ihr Dilemma, nämlich bei der Wahrnehmung und bei der Zuordnung von Kulturförderungen.
Das Image eines kulturellen „Schmuddelkindes“ konnte die Soziokultur in den vergangenen Jahren ablegen. Ein Stiefkind der Kulturpolitik ist sie dennoch geblieben.


Antonia Woitschefski:
Das klingt, als gäbe es doch noch sehr viel zu tun für den Verband und seine Szenen?


Wolfgang Renner:
In der Tat. Einerseits gibt es Anerkennung für die Szene, zumindest in den Sonntagsreden. Wenn es aber konkret um Geld und um Bewilligungen zu Förderanträgen geht, da werden soziokulturelle Projekte sehr schnell zum Spielball fiskalischer Sparmaßnahmen. So erst kürzlich wieder auf Landesebene geschehen.

Aber auch in sehr vielen Kommunen hat Soziokultur einen schweren Stand. Dass in Weimar der Umgang mit der freien Kulturszene noch recht sensibel erfolgt, mag einer „Kulturstadt“ zur Ehre gereichen. Die Förderzuwendungen aber reichen auch hier längst nicht aus. Und so haben wir auch in Weimar stets viele Unsicherheiten in der Projektarbeit und viele prekäre Arbeitsverhältnisse.
Dem gegenüber steht ein hohes Maß an Engagement, an Selbstausbeutung der Akteure, an Ehrenamt etc. Kurzum, für wenig Geld bieten all diese Einrichtungen sehr viel an Programm und an Attraktivität.


Antonia Woitschefski:
Gibt es denn Aussicht auf Besserung? Vielleicht wird das neue, sich in Arbeit befindliche, Landeskulturkonzept Abhilfe zu den Missständen schaffen?


Wolfgang Renner:
Das wäre durchaus wünschenswert, ist aber wohl nicht wirklich zu erwarten.

Einerseits setzen die soziokulturellen Einrichtungen auf Selbstbestimmung und Selbstverwaltung (– auch das ist ein Kriterium, dass sie alle eint –), und damit fühlen sich andererseits Kulturpolitiker, egal auf welcher Ebene, in schwierigen Zeiten gar nicht mehr so sehr verantwortlich dafür; - es sind ja „nur“ freiwillige Projekte und keine Institutionen.
Eine „trisektorale Förderpolitik“ könnte dem Dilemma etwas entgegenwirken. Das ist ein kulturpolitischer Ansatz, den man hier im Lande noch gar nicht ernsthaft genug geprüft hat.
Bei der gestrigen Mitgliederversammlung war Tobias Knoblich als Referent geladen. Knoblich ist Kulturpolitiker, Vizepräsident der Kulturpolitischen Gesellschaft und seit kurzem auch Kulturdirektor der Stadt Erfurt. Sein Vortrag gestern hieß „Quo vadis Soziokultur?“ Und darin brachte er diesen Ansatz von den drei Fördersektoren zur Sprache, welcher die bürgerbewegte kulturelle Vielfalt (zu der man die Soziokultur ja zählen muss) den öffentlich geförderten Kulturinstitutionen und der kulturellen Wirtschaft juristisch gleichgestellt wird.

Bemerkenswert ist, dass die LAG Soziokultur mit ihrer Forderung nach einer besseren Aufmerksamkeit für diese Szenen gar nicht mehr allein dasteht, sondern immer mehr kulturelle Fachverbände Ähnliches einfordern.
Leider ist sich die Soziokultur aber bei solchen Forderungen oftmals noch selbst zu sehr im Wege. Immer noch muss sie erklären, was sie denn eigentlich sei und was sie kulturell bewirken will.
Ein Problem der Öffentlichkeitsarbeit ist das ganz sicher.
Es ist aber auch ein Problem ihrer eigenen Geschichte: Da war einmal Soziokultur ein Kampfbegriff gegen das kulturelle Establishment, eine Gegenkultur. Diese Gegenkultur gibt es aber im Zuge neuerer gesellschaftlicher Entwicklung gar nicht mehr. Denn entweder sind sehr viele Kultureinrichtungen mittlerweile selbst irgendwie „soziokulturell“ geworden, oder die Soziokultur ist mit ihrer Vielfalt, Flexibilität und Verortung vollends in der Bürgergesellschaft aufgegangen. Und wenn Knoblich in seinem Vortrag fragt: quo vadis – wohin führt sie - die Soziokultur?, so konnte ich seinen Ausführungen dieses Abends als Antwort entnehmen: Sie führt zum Scheideweg.
Was einst als Bewegung begann, dreht sich jetzt im Kreise, und muss sich permanent selbst befragen, damit diese Bewegung nicht zum Stillstand kommt. Selbstzweifel aber sind gar keine gute Grundlage, wenn man kulturpolitische Forderungen im „Kulturland Thüringen“ artikulieren will.

(Wolfgang Renner)

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