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Kulturrückblick

Kulturrückblick vom 09.05.2011

Methusalem und die Kultur der Alten - Shanghai Drenger:
Du sprichst heute über die Kultur der Alten. In diesem Zusammenhang hast Du Dir auch das „Methusalem-Projekt“ des DNT angesehen. Das klingt sehr gewaltig. Auf der Theaterbühne agieren 15 Weimarer Senioren im Alter von 65 bis 95 Jahren, allesamt Laiendarsteller. Kann man das weiterempfehlen?

Wolfgang Renner:
Das klingt tatsächlich sehr gewaltig. Allerdings auch vorsintflutlich; Methusalem war nämlich der Großvater von Noah im Alten Testament, zeugte mit 167 Jahren noch viele Kinder und wurde der Überlieferung nach schließlich 969 Jahre alt.
Aber das war natürlich nicht das Thema des Theaterabends im DNT. Dort ging es um andere Lebensgeschichten, ganz gegenwärtige.

Das „Methusalem-Projekt“ ist eine Collage aus Episoden, persönlichen Erlebnissen und Erinnerungen der Laiendarsteller.
Und es sind Lieder, die uns die Alten da singen – künstlerisch freilich nicht in allerhöchster Qualität – aber es sind die Lieder ihres Lebens, und ihr Vortrag auf der Bühne wirkte daher sehr authentisch.

Sieben Wochen hat ein Team am DNT mit den 15 Weimarer Senioren gearbeitet. Das begann mit ausführlichen Interviews, in denen die Akteure Erinnerungen, Gedanken und Hoffnungen preisgaben. Von diesen Erzählungen haben sich die Theatermacher inspirieren lassen und – (ich sage jetzt einmal:) aus den „Handlungsfetzen“ – hat man eine Szenenfolge entwickelt und so etwas wie eine poetische Struktur geschaffen.
Das ist eine bemerkenswerte Leistung von Regisseur und zugehörigem Team, die man bei der Aufführung womöglich schnell vergisst, weil dort natürlich die Darsteller selbst im Mittelpunkt stehen und ihren berechtigten Applaus erhalten.

Ich glaube, das Projekt war vom Ansatz her sehr riskant. Aber, ich denke, seine Umsetzung ist auch gelungen. Ob man es aber allen Zuschauern empfehlen kann, darüber bin ich mir nicht recht sicher...


Shanghai Drenger:
Worin liegen da Deine Zweifel begründet? Sind es die Geschichten oder sind die Darsteller nicht professionell genug?


Wolfgang Renner:
Die Geschichten sind für sich genommen gut und interessant. Auch die Lieder sind passend: Vom „Brunnen vor dem Tore“ bis zu Biermanns „Du lass dich nicht gebrauchen, gebrauche deine Zeit...“ war da einiges zu hören. Zwar kamen die Monologe mitunter etwas behäbig daher, und auch der Rhythmus der Abläufe war recht langsam gehalten. Ich glaube, im richtigen Leben sind die Akteure vielleicht munterer gar, als sie es in den vielen elegischen Momenten auf der Bühne sein durften.
Das Stück – wenn man es so nennen darf – lebt aber ausschließlich von den Persönlichkeiten auf der Bühne. Und wären dabei andere Akteure zum Einsatz gekommen, so wäre es wohl auch ein völlig anderes Stück geworden.

All das Bruchstückhafte, Collagenhafte, des Projekts lässt sich freilich ganz schwer in eine dramaturgische Spannung fassen. Am DNT aber ergab es letztlich, wenn auch keine schlüssige Handlung, so doch das Stimmungsbild einer Generation, eben der zwischen 65 und 95. Für mich war es damit nicht das Schauspiel selbst, was mich überzeugte, sondern viel mehr die Aura, die dem Zuschauer da entgegen wehte.
So etwas wird nicht alle Theaterfreunde überzeugen.

Dabei stellte sich mir auch gleich die Frage: Gehört so ein Projekt überhaupt auf die große Bühne eines Deutschen Nationaltheaters? Oder wäre es nicht besser in der Amateurtheater-Szene aufgehoben gewesen?
Die Antwort letztlich kann nur sein: Wenn Theater ein Spiegel unseres Zeitgeistes sein will, gehört eben solch ein Projekt auch auf die große Theaterbühne, mit viel Licht und viel Aufmerksamkeit


Shanghai Drenger:
Aber ist diese Thematik und solch ein Projektansatz nicht schon wieder so etwas wie eine Mode geworden? Mir scheint, die Alten erobern immer mehr die Themen unserer Kunst.


Wolfgang Renner:
Das wäre ja hinsichtlich demografischer Entwicklungen im Abendland auch einfach nur logisch. Tatsächlich kann man in verschiedensten Künsten so etwas wie einen Run auf Themen der Seniorenkultur beobachten. Denken wir an Andreas Dresens Kinofilm „Wolke 9“ oder den Fernsehfilm „Spätzünder“ mit Liefers, Fuchsberger und anderen Stars, - der wurde vergangene Woche gleich dreimal auf unterschiedlichen Fernsehstationen wiederholt.
Am Rudolstädter Theater, da bereitet man derzeit gerade sehr intensiv das 1. Thüringer Seniorentheatertreffen vor. „Ruhestörung“ wird es heißen, und bietet Ende September/ Anfang Oktober mindestens 10 Aufführungen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, zudem Fotoausstellung, Diskussionsforen, Film etc.

All das scheint mir durchaus ein Zeichen dafür sein, dass sich in der Gesellschaft ein Wandel im Bild des Alterns vollzieht, und man für eben diesen Wandel auch einen künstlerischen Ausdruck sucht. Von den rasanten Veränderungen unserer Lebensweise in der Gegenwart schien das traditionelle Bild des Alters ja bisher noch weitgehend unberührt. Aber Senioren sind heute anders als bisher.
Methusalem hat ja im hohen Alter auch noch viel Leben gezeugt...

Nehmen wir das „Methusalem-Projekt“ am Weimarer Theater und das Vorhaben eines Seniorentheaterfestivals in Rudolstadt als Vorboten solch neuer Sichtweisen und auch als Anregung, Seniorenkultur nicht nur plakativ zu denken und nicht nur auf Themen des Erinnerns und Vergessen zu reduzieren. Das „Methusalem- Projekt“ im DNT endet mit der Frage, was wohl bleibt und welche Spuren man legen wird. Und genau das ist auch die Frage an die neuen Entwicklungen zu einer Kultur der Alten.


Shanghai Drenger:
Das „Methusalem-Projekt“ hat seine nächsten Aufführungen im Deutschen Nationaltheater am 4. Juni und am 3. Juli 2011.

(Wolfgang Renner)

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