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Kommentar

Kommentar vom 05.03.2004

Wir sind die Guten - Sie heizen uns gerade ordentlich ein. Neonazis, Rechtsextreme, Altnazis wie der Spinner Georg Paletta bewegen sich in den Strukturen einer zumindest formal freiheitlich Gesellschaft wie Fische im Wasser. Sie treten selbstbewusst auf, sie sind präsent im Stadtbild, auf Versammlungen, mit Wurfsendungen in den Briefkästen, auf Demonstrationen und Kundgebungen, an Bahnhöfen, öffentlichen Plätzen und bestimmten Stadtvierteln. Sie agieren im besten Sinne zivilgesellschaftlich und lassen uns derzeit mit leichter Hand im Regen stehen.
Wäre alles nicht so schlimm, wenn ihnen nicht ein guter Teil der Otto Normalverbraucher wo nicht mit offener Sympathie so doch ohne sichtliche Regung gegenüberstehen.
Und – und das ist im Grunde viel schlimmer – weil die so genannten Anständigen – Sie erinnern sich an den viel beschworenen Aufstand, jetzt eher Ruhestand –; weil diese Anständigen nur träge reagieren und dem wenig originellen, selbst gewählten Slogan von der der braunen Einfalt entgegengesetzten „bunten Vielfalt“ nicht viel Berauschendes geschweige denn Überzeugendes folgen lassen, sich schlecht verkaufen oder selbst das nur ziemlich zäh von statten geht.
Am vergangenen Mittwoch konnte, wer das Gruseln lernen wollte, in Jena erleben, was passiert, wenn die „Anständigen“ zwischen Hardcore-Nazis und einem rassistischen Kleinbürger-Mob eingekeilt sind.
Die einen keiften angriffslustig und mit galligem Schaum vorm Mund heraus, was Menschen so keifen, wenn sie glauben, ihnen würden mit der Ansiedlung einer Flüchtlingsunterkunft all jene geradezu apokalyptischen Plagen auf den Hals gesandt, die ihnen aus Politik, Medien und Kultur – um es bildlich auszudrücken – ins Gehirn geschissen werden: Drogenhandel, Kinderschänder, kriminelle Ausländer, Vandalen, Sozial- und Asylbetrüger, Heuschreckenplagen, Ungeziefer usw. Da wird dann auch kaum noch Mühe darauf verwendet, den blanken Hass auf alles Nicht-Deutsche und die ganze erbärmliche Klaviatur der krudesten Vorurteile zu kaschieren.
„Muß ich jetzt im Schleier rumlaufen“, kreischt eine Mittfünfzigerin. „Schade um die ganzen Werte, die dort geschaffen wurden“, brummelt ein Mann. „Nur weil ich in unserem Viertel keine allein stehenden jungen Männer islamischen Glaubens will, bin ich noch lange kein Ausländerfeind“, wettert der junge Besitzer einer Eigentumswohnung im dortigen Plattenbau. „Da kann man sich nachts nicht mehr auf die Straße trauen...“ – „Wenn ich dann da mit meinem kleinen Sohn vorbei gehe....“ – „Der Schulweg meiner Tochter führt dort genau vorbei....“. Das ganze erreicht den Höhepunkt der Heuchelei, wo selbst scheinbar antifaschistische Motive heran gezogen werden, um den Eigennutz zum Gemeinwohl umzulügen: schließlich hole man mit dem „Asylantenheim“ auch die Braunen ins Viertel und müsse dann mit Brandanschlägen rechnen....
Dass die Braunen in Jena am Mittwoch schon da sind und sich mit dem aufgebrachten Mob solidarisieren, fällt da kaum noch auf.
Bekennende Nationalsozialisten, Kameradschaftsführer und ihr schauerlicher Jungsturm, lassen auf selbst gemalten Schildern ihrem gefährlichen Ausländerhass, ihrer kleinkarierten Deutschtümelei und ihren unterschwelligen Drohungen gegen das geplante Asylbewerberheim freien Lauf. Immerhin wurde an 21. Januar bereits versucht das Objekt in Lobeda, ein ehemaliger Kindergarten abzufackeln;
Zwischen den Nazis also und dem auf Geheiß der Republikaner zusammen gekommenen Bürgermob sind aber auch Vertreter der Zivilgesellschaft, Antirassisten, Nazi-Gegner und Antifaschisten versammelt; sie stehen dort wie bestellt und nicht abgeholt, liefern sich mit den Nazis peinliche Skandierwettbewerbe, bei denen die Nazi-Kader frisch und unverbraucht und unter Recycling alter 68-Sprüche regelmäßig mit Biss und Spaß die Oberhand behalten.
Dabei sind wir die Guten, wir treten für humane Orientierung, für eine menschliche und wirklich freiheitliche Gesellschaft ein, für eine wirklich demokratische Kultur und emanzipative Streitkultur, wir treten ein für Solidarität mit Flüchtlingen, mit Migranten und Asylsuchenden, wir wollen ein weltoffenes Europa und eine bessere Welt. Wir nehmen unsere Pflichten ernst, dem Rassismus, der Gewaltbereitschaft, dem faschistischen Männerkult und der unmenschlichen Weltsicht der selbst ernannten Herrenmenschen-Würstchen entgegen zu treten, machen auf den Mord und Totschlag aufmerksam, der von der Dominanz-Kultur geschürt, vom rassistischen Mob kultiviert und von Nazi-Schlägern als Volkswille vollstreckt wird.
[In Weimar ist am 19. Dezember 2003 ein Mosambikaner von Nazis verprügelt worden, in Gera wurde am 21. Januar ein junger Russlanddeutscher von rechts orientierten Jugendlichen bestialisch ermordet, in Gotha wurden Ende Januar zwei Russlanddeutsche von Nazis krankenhausreif geschlagen, bei einem Angriff Anfang Februar wieder in Gera starb einer der Angreifer bei einer rassistischen Attacke, als er unter die Trambahn kam.]
Warum hat niemand das Megaphon ergriffen und unsere besseren Argumente, unsere menschlicheren Visionen, unsere besseren Ideen und Sichtweisen zu proklamieren, den Umstehenden Argumente anzubieten, für unsere bessere, menschlichere, buntere und lebendigere Welt zu werben? [Ein Dank geht an Peter Lückmann vom Bündnis gegen Rechts aus Gera, der das wenigstens versuchte!]
Solange es uns nicht gelingt, uns und unsere Sichtweise darzustellen, mit Menschlichkeit und Phantasie, mit Engagement und Leidenschaft, mit Mut und Ausdauer für unsere besseren Argumente und humanen Visionen zu kämpfen, haben wir dem zivilgesellschaftlichen Treiben der Rechten nichts entgegen zu setzen!

(Fritz Burschel)

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