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Theaterkritik

Theaterkritik vom 04.07.2011

reicht es nicht zu sagen ich will leben - Ein langer Laufsteg, etwa zwei Meter breit, gut 20 Meter lang im flachen Stück und noch mal soviel im Anstieg oder andersherum auf der Rutsche nach unten – ganz wie man will oder wie es einen eben trifft in diesem Leben: so sieht die Bühne aus im e-werk für das neue Stück mit dem sinnigen Titel „reicht es nicht zu sagen ich will leben“. Damit ist schon fast alles gesagt, es ist ein kaum zu überhörender Schrei der Verzweiflung, der sich durch die Szenencollage wie ein roter Faden zieht. Erzählt werden Geschichten von heute: aus dem Arbeitsleben im immer unmenschlicher werdenden Kapitalismus; aus der Schule, die auf dieses Leben vorbereiten soll; und außerdem der zwischenmenschliche Terror im Elternhaus; ein Zickenkrieg; die letzte Station im Pflegeheim und noch viel mehr. Es sind Szenen aus der Realität, aus Absurdistan, der ganz normale Wahnsinn eben. Aber es sind sowohl authentische als auch starke Bilder, die wir in Weimar zu sehen bekommen. Dass es keine durchgehende Handlung gibt ist ebensowenig ein Manko wie die Tatsache, dass die Charaktere wenig Tiefe besitzen. Wie sollten sie dies auch? Sie alle sind letztendlich Opfer, die von der Gesellschaft gezwungen werden, eine Rolle zu spielen. Individualität ist ein Luxus, den sich nur wenige leisten können. Es bleiben allenfalls Träume, die im Tiefkühlfach für bessere Zeiten in einer fernen Zukunft konserviert werden können.

Die Autorinnen Claudia Grehn und Darja Stocker haben gründlich recherchiert, Interviews geführt mit Betroffenen und haben daraus eine Collage entworfen, die eine starke Glaubwürdigkeit durch Intensität besitzt. Aber es ist auch ein Zeugnis der Hoffnungslosigkeit in einer Gesellschaft, die immer mehr verroht. Dies wird besonders in der Schlussszene deutlich, in der idealistische Menschenrechtsaktivisten an dem barbarischen Umgang mit Asylbewerbern im Lager Zella-Mehlis verzweifeln.

Zu der Lebendigkeit des Stückes tragen zweifelsohne auch alle sechs Schauspieler bei. In der Kooperation mit dem Centraltheater Leipzig agieren die Weimarer Jeanne Devos, Markus Fennert und Hagen Ritschel mit den Leipziger Kolleginnen Carolin Haupt, Linda Pöppel und Barbara Trommer in kongenialer Weise. Somit erlebt Weimar ganz am Ende der Spielzeit doch noch einen richtig souveränen Schauspielknaller. In ihrer letzten Weimarer Inszenierung liefert Nora Schlocker noch einmal eine engagierte Arbeit ab. Man wird sie vermissen.

reicht es nicht zu sagen ich will leben (Claudia Grehn und Darja Stocker)
Regie: Nora Schlocker
Premiere: 30.06.2011, Weimar, DNT, e-werk

(Oliver Kröning)

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