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Kulturrückblick

Kulturrückblick vom 01.08.2011

„Kunst in und aus Thüringen“ - Shanghai Drenger:
Wolfgang, Du hast Dich diesmal zum Thema Kunst aus Thüringen kundig gemacht und bei verschiedenen Thüringer Künstlern umgeschaut. Lag es am Wetter, dass Du lieber Galerien und Ausstellungen aufgesucht hast, anstatt in open air-Konzerte zu gehen?

Wolfgang Renner:
Freilich, das war zuletzt kein schönes Sommerwetter; da zieht man die Kunst im Raume vor. Open air- Veranstalter haben es sehr schwer in diesem Jahr. Gestern beispielsweise mussten die Organisatoren der Kulturarena Jena zu ihrer Halbzeit Einbrüche bei den Besucherzahlen vermelden.
Aber den Ausstellungsmachern geht es derzeit eigentlich auch nicht besser. Und ich wollte mal sehen, ob es denn an den Themen oder an der Qualität all der Angebote liegen kann...
Geworben wird da zum Beispiel, teils mit großem Aufwand, gleich für drei Landesausstellungen in Mitteldeutschland.
In Görlitz informieren die Sachsen in einer opulenten Schau über die „via regia“, jene alte europäische Königsstraße, die quer durch Europa, und auch über Erfurt und hinter dem Ettersberg entlang führte, und auf der man nicht nur Handelswaren transportierte sondern auch einen kulturellen Austausch ermöglichte.
Und in Sachsen-Anhalt ehrt man den Meister der Naumburger Stifterfiguren aus dem Hochmittelalter als einen ganz großen, bedeutenden Künstler, der einst im kunsthandwerklichen Sinne seiner Zeit weit voraus war. Er war Franzose, der vermutlich auch über die alte „via regia“ das Land querte.
Und auch Thüringen widmet sich in seiner Landesausstellung einem Reisenden, der in Weimar produktive Jahre verbrachte: Franz Liszt. Aus zeitlicher Abfolge besehen ist Liszt viel näher dran an der Neuzeit. Liszts Modernität hält aber weniger Wunder für uns bereit, macht uns weniger Staunen als die Leistungen des Mittelalters... Vermutlich wird daher Thüringen im Vergleich der mitteldeutschen Landesausstellungen das geringere Publikumsinteresse haben.

Shanghai Drenger:
Besucherzahlen sagen doch aber noch nichts über die Qualität der Ausstellungen aus. Oder meinst Du, dass die Thüringer Ausstellungen mit denen anderer Regionen nicht konkurrieren kann?

Wolfgang Renner:
Sieht man einmal von der Landesausstellung ab, da gibt es keine größeren – oder sagen wir mal: keine bedeutenderen – Sommer-Ausstellungen in Thüringen. So zumindest in meiner Wahrnehmung.
Das mögen Tourismusmanager sehr bedauern. Aber es hat diese Situation auch etwas Vorteilhaftes: Uns werden damit wieder die viele kleinen Ausstellungen bewusst, die gewissermaßen den Alltag der Thüringer Kunst und Künstler spiegeln. Hier häufen sich nämlich die Ausstellungen, in denen wir die Arbeiten von Otto Paetz, Alfred Ahner, Alexander Olbricht, Walther Klemm oder Berthold Asendorp sehen können. Otto Knöpfer – er wäre dieses Jahr 100 geworden - finden wir gleich fünfmal in Ausstellungen zwischen Arnstadt, Holzhausen, Molsdorf und Erfurt.
Es sind dies jene Künstler, die zwischen Weimarer Malerschule bzw. Bauhaus und der gegenwärtigen Moderne vielleicht bisher noch zu wenig Aufmerksamkeit erfahren haben. Und vielleicht holt man dies jetzt nach.
Die Thüringer Maler der vorigen und vorvorigen Generation – jedenfalls jene, die den Ausdruck dessen prägten, was wir heute als Thüringische Kunst bezeichnen könnten – waren fast allesamt Landschaftsmaler. Und ich bin mir nicht ganz sicher, ob es die schöne Landschaft hierzulande war, die diese Künstler in den Bann gezogen hat, oder ob es nicht doch eher gesellschaftliche Umstände waren, die sie zu einer Flucht hinaus in die Natur und Landschaft bewog. Jedenfalls waren es Künstler, die mit Herz und Stift hier im Thüringischen verwurzelt waren. So entstanden schöne Bilder, die wir nun – ob einem Zufall geschuldet, oder aber einem neuen Zeitgeist entsprechend – in vielen Galerien des Landes derzeit wieder sehen können.
Eine Entdeckungsreise lohnt sich.

Shanghai Drenger:
Die Thüringer Kunst ist aber doch nicht bei früheren Generationen stehen geblieben. Gibt es denn auch zeitgenössische Thüringer Kunst zu sehen?

Wolfgang Renner:
Die gibt es. Um ein herausragendes Beispiel zu nennen: Die Ausstellung der „Sezession D 206“ im Neuen Museum in Weimar.
Dort stellen 15 Thüringer Künstler aus: Walter Sachs und Roger Bonnard, Petra Wirth und Karl-Heinz Appelt, Ulrich Panndorf und Philipp Oeser, die beiden Rittwegers oder Reiner Ende sind dabei. Es sind Künstler – Maler, Bildhauer, Grafiker, Schmuckgestalter -, die in den letzten 20, 30 Jahren das Bild der Kunst aus Thüringen ganz neu gestaltet haben. Es ist dies jetzt ein anderes Bild, viel weniger Landschaft, in der Formensprache alles viel globaler, längst nicht mehr Thüringisch allein.
Eine Sezession ist vom Wortsinn her eine Abgrenzung.
In der „Sezession D 206“ versammelten sich zur Wendezeit Thüringer Künstler, für die der alte Verband nicht mehr taugte. Es sollte keinesfalls eine Vereinigung gleicher Auffassungen und Stile sein, sondern eine Solidargemeinschaft, wo man sich gegenseitig half, gemeinsame Ausstellungen organisierte, Interessenvertretung bildete.
Den Namen „D 206“ entlieh man sich übrigens vom D-Zug Warschau – Paris, der bis 1990 auch auf dem Weimarer Bahnhof hielt. Keine „via regia“ zwar, aber ein Schienenstrang der Sehnsucht in damaliger Zeit...
Die Ausstellungswerke selbst aber kommen so unterschiedlich daher, wie man es von einer Künstlervereinigung kaum vermutet.
Um nur zwei Beispiele aus dieser Vielzahl zu nennen:
Walter Sachs kommt mit biblisch-archaischen Themen und einer bemerkenswerten Tuschtechnik auf interessant gewelltem Papiergrund. Mit wenigen Strichen vermag er das Gedrückte, das Verratene, das Leiden und die Last, die Einsamkeit, aber auch die Hoffnung und die Erlösung sinnbildlich zu entwerfen. Und in der Mitte des ersten Raumes sitzt „Christus im Elend“, in typisch Sachs´scher Manier und blickt auf Roger Bonnards großflächige farbliche Ereignisse, abstrakte, außergewöhnlichen Stimmungen und Turbulenzen in Mischtechnik.
Herausheben möchte ich auch die hintersinnigen, fein humorigen Grafiken von Reiner Ende. Es ist eine ganz eigenwillige Formensprache hinsichtlich Strich und den sparsamen Farbaufträgen per Kreide oder Farbe auf die grafischen Radierungen, die der Nordthüringer uns präsentiert.

Leider hat die Ausstellung im Neuen Museum nur sehr wenige Besucher. Das ist schade, denn auch diese Ausstellung ermöglicht Entdeckungen und offenbart etwas vom Zeitgeist in unserem Landstrich. Und es lässt sich bei diesen Bildern darüber sinnieren, ob es denn eine spezifisch Thüringische Kunst noch geben könnte...

(Wolfgang Renner)

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