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Kulturrückblick

Kulturrückblick vom 22.08.2011

Neue Visionen? Das Kunstfest ist eröffnet… - Shanghai Drenger:
Das Kunstfest 2011 ist eröffnet. Und das erste Veranstaltungswochenende ist jetzt schon wieder vorüber. „Visionen“ sind das große Thema des Kunstfestes in diesem Jahr. Waren die Botschaften der ersten Veranstaltungen, die Du am Wochenende erlebt hast, schon visionär?

Wolfgang Renner:
Das Kunstfest beginnt ja immer mit Konzert und Vortrag zum „Gedächtnis Buchenwald“. Dieser Auftakt präsentierte diesmal die Neugründung eines Orchesters, welches Musikstudenten aus Weimar und Jerusalem vereint. Das ist natürlich mehr als Musik; in dem Projekt steckt schon eine Art sich erfüllender Vision.
Nun ist diese Idee nicht ganz neu; in Weimar gründete Daniel Barenboim 1999 das legendäre „West-Eastern-Divan-Orchestra“, das man mittlerweile in der ganzen Welt kennt, dass aber zu seinem Gründungsort Weimar kaum noch einen Bezug zu haben scheint. Da war „Weimar“ (wie man gemeinhin sagt, wenn man Teile der hiesigen Kulturszene meint) mit der Tragweite einer Vision und ihrer praktischen Realisierung mal wieder überfordert gewesen, - und das bekanntlich nicht zum ersten Mal in seiner Geschichte. Man hat das Barenboim- Orchester widerstandslos davonziehen lassen, und versucht es nun – vielleicht eine Nummer kleiner – noch einmal mit einem neuen Projektanlauf, dem „Young Philharmonic Orchestra Jerusalem-Weimar“.

Wenn man „Visionen“ zum Thema eines künstlerischen Festes macht, kommt man – trotz Liszt- und anderer Jubiläen – in Weimar natürlich nicht umhin, auch über das Kulturleben der Stadt zu sinnieren, auch über dessen Wirkung nachzudenken. Und so war ich gespannt, was die Eröffnungsmatinee am Sonnabend an Visionen bieten würde. Bei dieser Vortrags-Matinee stellt die Kunstfest-Intendantin jedes Jahr kulturpolitische und philosophische Bezüge ihres Programms dar und sie stellt den „artist in residence“ vor.
Weimars Honoratioren kamen, viele fremde Interessierte zudem, aber niemand aus dem Kulturministerium des Landes. Dort hält sich das Interesse an kulturellen Visionen möglicherweise in Grenzen...

Shanghai Drenger:
Nike Wagner gab ihrem Vortrag den Titel „Botenstoffe aus der Zukunft“. Visionen – Zukunft – Liszt, und dann auch noch die Bedeutung von Weimar: Wie führt sie all das zusammen?

Wolfgang Renner:
Frau Wagner sprach von Visionen, hatte aber selbst keine parat.
Oder habe ich sie überhört?
Dafür musste Liszt herhalten. Das Visionäre bei Liszt, führte die Intendantin aus, machte, dass Liszt kein „Vollender“ wurde, wie beispielsweise Richard Wagner. Das heißt, Liszt blieb dramaturgisch offen, fand keine Mitte, experimentierte stets und sah – wie wir heute so sagen - das Prinzip des „work in progress“ als visionär und zukunftsfähig an.

Visionen haben ja mit „Sehen“ zu tun. Eine sehr interessante Ausstellung, die am Sonntag unter großer Publikumsteilnahme im Neuen Museum eröffnet wurde, macht eben dies auch deutlich.
Dieses Sehen, das eigentlich das Erkennen meint (… in der Ausstellung geht es sogar um die Versuche, selbst das an sich Unsichtbare kenntlich zu machen …) - dieses Sehen ist vom Ursprung her eine religiöse Praxis.
Im 19. Jahrhundert, nachdem Nietzsche verkündet hatte, dass Gott tot sei, haben zunehmend Künstler diese einst religiöse Rolle übernommen. Heute verbinden wir mit dem Visionären ein „Programm der Zukunft“.
Aber ich glaube, auch die Künstler haben mittlerweile ein gravierendes Vermittlungsproblem zu irgendeinem Programm der Zukunft.

Shanghai Drenger:
Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen, sagte einst Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Behält er mit seiner Skepsis recht?

Wolfgang Renner:
Das will Nike Wagner natürlich so nicht gelten lassen. Aber auch sie will Visionen gar nicht so groß denken. Das sind keine Utopien, erklärt sie. Und weiter: Visionen wollen keine Veränderung, sondern eine Verbesserung.
Über solch einen Satz muss ich dann aber noch nachdenken...
Zumal Nike Wagner, fast im selben Atemzuge, auch ausführte, dass der Ruf nach Visionen immer dann besonders laut wird, wenn wir an einem „Abgrund“ stehen. Einen Abgrund vor Augen, da würde ich aber doch lieber etwas verändern, anstatt nur den Standplatz zu verbessern...
Nike Wagner selbst hat ja in ihrem Vortrag beeindruckend eine Reihe von Beispielen aufgeführt hat, wie Visionen und Fiktionen von einst heute längst Realität geworden sind, und dies nicht immer zum Besten der Menschheit...

Shanghai Drenger:
Von den großen Visionen zurück nach Weimar. Braucht nicht auch das Kunstfest solche Visionen für seine Zukunft. Und welche Chancen hätten sie? Hat sich Nike Wagner auch dazu geäußert?

Wolfgang Renner:
Ja, und sie erwähnte auch die vielen visionären, gescheiterten Versuche, die es in Weimar gegeben hat, einst und bis in die Gegenwart. Zum Beispiel das Scheitern Franz Liszts mit Plänen zu einem Goethe-Festival und dem Neu Weimar-Verein...
Vielleicht tue ich ihr jetzt unrecht; - aber ein wenig klang mir da auch die Traurigkeit mit, weil unsere Kunstfestintendantin vielleicht selbst gern auch etwas Neues in diesem Weimar begründet hätte. Und dass sie vielleicht auch sich als gescheitert ansieht...

Womöglich ist das Thema Liszt ja auch nicht das thematische Medium, das viele Bürger und die Kunstwelt mitreißt. Liszt ist interessant. Seine Kunst ist aber für die drängenden Fragen unserer Zeit nicht überaus prägnant. „work in progress“ ist als Methode wohl gut, die Rezipienten aber verlangen jetzt viel häufiger nach Fundamenten und orientierungsgebenden Antworten.
Meine ich. Nike Wagner sieht das anders.
Sie erklärt die philosophischen Hintergründe und die künstlerischen Zusammenhänge für Liszts Bedeutung heute. Aber bei der Frage, wohin es gehen sollte und wer was warum antreiben möge, stockt auch sie. Ein paar Bemerkungen, fast süffisant, hat sie parat über den neu gegründeten Kulturrat in Thüringen, über eine hohe Breitenkultur oder breite Hochkultur und schließlich darüber, dass Weimar seit vielen Jahren endlos über einen Kulturentwicklungsplan diskutiert. Aber solche Bemerkungen sind eben auch keine Visionen und führen kaum weiter. Da bleibt also nach wie vor die Frage auch nach dem Sinn des Kunstfestes und seiner wünschenswerten Wirkung im Raum...

Shanghai Drenger:
Aber das Kunstfest hat jetzt erst begonnen. Und wir dürfen auf manch weitere künstlerische Äußerungen zu den Visionen und Programmen der Zukunft noch gespannt sein.

(Wolfgang Renner)

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