Buchrezension
Buchrezension vom 07.09.2011
"Macht aus dem Staat Gurkensalat!" - Vier Freunde beschreiben ihre Jugend, nicht zusammen, jeder einzeln für sich, und dennoch gemeinsam. Die Geschichten , Berichte und Erinnerungen der vier Autoren erzählen von einer Zeit, an die sich heute nicht viele erinnern. Jedenfalls nicht so. Vielleicht liegt es daran, dass sie zu jung sind, vielleicht daran, weil sie mit einer Menschenszenerie wie hier beschrieben, nie etwas zu tun hatten oder vielleicht auch, weil Erinnerung unangenehm ist, weil sich im Hinterkopf eine Kammer der Mitverantwortung auftut. Ich möchte nicht von Mitschuld sprechen. Aber für manchen wird auch das zutreffen.
Vier Autoren beschreiben in relativ kurzen Episoden ihre eigenen, teilweise gemeinsamen Erlebnisse ihrer Jugendzeit.
Gemein ist allen vier Autoren die Erfahrung einer Jugend in der DDR am Anfang der 80er Jahre. Das Städtchen Weimar ist zwar auch damals schon Touristenhochburg, jedoch ist dieser Umstand für einheimische Jugendliche nicht auch gleich das Tor zur Glückseligkeit.
Wer wollte sich schon mit Goethe, Schiller, Herder und den üblichen Größen beschäftigen, wenn das sonstige Freizeitangebot für junge Heranwachsende sehr zu wünschen übrig ließ?
Zwar hatten auch die Protagonisten dieser Geschichten und Berichte durchaus künstlerische Ambitionen, doch in einem Gesellschaftssystem, in dem unterwürfige Linientreue und ebensolche Arbeitsbereitschaft die hervorstechendsten Attribute seiner Mitglieder darstellen, war eben auch damit wenig zu holen.
Aus lauter Langeweile, einfach um der Provokation willen, schaffen sich die vier nebst weiteren Personals ihren eigenen Kick. Ausgerüstet mit Farbspraydosen ziehen sie nächtens durch die Stadt und beschriften manches marode Mäuerchen mit teils sinnfreien, teils provokanten Losungen.
Zählt heute lediglich die Farbe auf der Hauswand als Ärgernis, so waren es damals die Inhalte der Worte, die als schwerer bis schwerster Straftatbestand galten. Das musste Konsequenzen nach sich ziehen.
Schon sehr bald mit den Ermittlungsergebnissen des Staatssicherheitsdienstes konfrontiert, sehen sich vier der Akteure in trüben Gefängniszellen der Stasi-U-Haft in Erfurt sitzen.
Dies ist der Kern der erzählten Geschichte. Das Buch „Macht aus dem Staat Gurkensalat!“, der Titel ist hergeleitet aus einer der gesprühten Losungen, vermittelt allerdings mehr und die Autoren geben sich mitnichten mit „ollen Knastkamellen“ zufrieden.
Die Texte sind in drei Abschnitte gegliedert. Aufgemacht wird mit einer Situationsbeschreibung. Die Leser erfahren vom Standort der Jugendlichen, von ihren Zielen und von ihren Träumen. Und sie erfahren von der allgegenwärtigen Aussichtslosigkeit, deren Erfüllung in Angriff zu nehmen.
Der Einstieg ist beinahe lapidar erzählt. Es geht um Musik, um Kleidung, um Parties, um den Traum vom Kontakt mit dem anderen Geschlecht. Die Beschreibungen wirken zum Teil dick aufgetragen, dadurch eher unglaublich. Und immer spielt der Alkoholkonsum eine nicht unerhebliche Rolle. Exzessive Jugenderfahrungen dieser Zeit. Nicht nur in Weimar. Doch nicht nur im Hintergrund rumort bei all dem der Drang nach Freiheit, nach Selbstverwirklichung. Die Sprüche an den Weimarer Wänden sind ein Ausbruchsversuch aus all den Zwängen des Systems.
Im zweiten Teil des Buches verfliegt der lustige Übermut in fast allen Geschichten schlagartig. Es sind die Berichte aus der zermürbenden Zeit der Haft. Sehr persönliche Bilder werden von den räumlichen, baulichen, wie auch geistigen Zuständen im Gefängnis gemalt. Wiederum fast unglaublich, doch sehr wohl real.
Für damalige Zustände kommen die vier schließlich mit dem sprichwörtlichen „blauen Auge“ davon. Schon bald nach dem Gerichtsprozess sehen sie sich draußen wieder. Die lange Zeit der Untersuchungshaft hat die Strafzeit aufgefressen. Doch draußen zu sein, heißt keinesfalls wieder frei zu sein. Ganz im Gegenteil, die Autoren kündigen dem Staat in dem sie leben. Nicht nur innerlich. Sie wollen weg, raus aus dem Land, vielleicht ist es in Westberlin besser.
Und so fließt die Zeit des Wartens auf die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft im dritten Teil des Buches an den Lesern vorbei. Die Spannung lässt nach und ist schließlich raus, denn man mag den Autoren ihr Fernziel nicht recht abnehmen und somit auch nicht gönnen, scheinen sie es selbst mitunter gar nicht wirklich zu wollen. Der Wunsch zu gehen wirkt bei manchem von außen aufgedrückt, doch tatsächlich ist jene Zeit für viele eine Zeit der Zerrissenheit. Und so plätschert das Buch schließlich mit Schilderungen von Versuchen kleine schräge Filme zu drehen und surreale Kunst zu fabrizieren irgendwann dem Ende entgegen. Und so kommt es, wie es kommen muss: eine Band wird gegründet, man bleibt ohne Lizenz, also im Untergrund, und endlich darf einer nach dem anderen gehen. Würde ich nicht sicher wissen, dass dies kein Roman ist, würde ich es ab hier wirklich fade finden. Aber, es ist das Leben.
Man trifft sich schließlich, bis auf einen, in Kreuzberg wieder. Die Helden der Geschichten stehen nun vor einer Wand, welche übersät ist mit Graffiti. Groß sind die Bilder und schreiend bunt. Doch aufrüttelnd sind sie schon lange nicht mehr. Ganz im Gegenteil, machen sie die Berliner Mauer von der Innenseite her zu nicht mehr als einer Touristenattraktion. Und trotz ihrer Ausmaße und künstlerischen Vielfalt taugen sie nicht einmal zu einer kleinen provozierenden Aufforderung: „Macht aus dem Staat Gurkensalat!“
Shanghai Drenger
05-09-11
„Macht aus dem Staat Gurkensalat!“
von Ulrich Jadke, Holm Kirsten, Jörn Luther und Thomas Onißeit, Hrsg. Rüdiger Haufe
wjs-verlag
320 Seiten, Preis 19,95 Euro
ISBN: 9783937989716
(Shanghai Drenger)