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Kulturrückblick

Kulturrückblick vom 19.09.2011

"Goethe versteckt" - Antonia Woitschefski:
Einen Kulturrückblick mit Variationen auf Goethe willst du heute halten – so lese ich auf deiner Textankündigung. Was also gibt es rückblickend zu Goethe zu berichten?

Wolfgang Renner:
Vielleicht noch zu wenig... Goethe versteckt sich.
Das ist die eigentliche Nachricht und auch meine Wahrnehmung derzeit.
Und das ausgerechnet in der Goethe-Stadt...
Dem Weimarer ist das vielleicht noch gar nicht so aufgefallen, dem Touristen schon: Das Goethe-Nationalmuseum ist geschlossen, seit Ende Mai bereits. Aber da wir Weimarer Bürger unsere Museen ja meist nur aufsuchen, wenn wir Gäste durch die Stadt führen oder aber wenn es den Tag der Offenen Museen gibt, da verliert man mitunter solches aus dem Blick.
Bis zum Goethe-Geburtstag im nächsten Jahr wird man noch beschäftigt sein, um eine neue Ausstellung zu gestalten. Dabei – so erinnern wir uns – ist es ja noch gar nicht so lange her, dass das Museum eigentlich auf den „modernsten“ musealen Stand gebracht wurde. Das war im Vorfeld zum Kulturstadtjahr 1999; gerade mal vor einem Dutzend Jahren. Damals hatte man den Staub aus DDR-Vergangenheiten gewischt, neue Aspekte zur Sicht auf Goethes Werk und Leben eingebracht und das Originale, Authentische, aus Goethes Welt bevorzugt zur Schau gebracht.

Antonia Woitschefski:
Und dieses Konzept braucht in unserer schnelllebigen Zeit schon wieder eine Erneuerung? Hat es versagt?

Wolfgang Renner:
In jenen Jahren waren Debatten zur Aura eines Kunstwerks, zu Original oder Kopie, in vollem Gange. Und Kulturstadtgeneral Kauffmann hat sie mit einigen seiner Projekte aufgegriffen, und angefacht zudem. Nur, das Problem dabei war, dass man den Kennern zwar Exquisites bot, den Museumsbesucher gleichzeitig aber aus dem Auge verlor. So wurde beispielsweise im Zuge dieser Auffassung das Goethe-Gartenhaus fast leer geräumt, weil ja nur die Originale den Wert besaßen, ausgestellt zu werden. Der Tourist aber war bestürzt; denn so nüchtern, wie es sich jetzt darstellte, hatte er das Haus nicht erwartet...
Und im Goethe- Nationalmuseum, da sah man nichts mehr. Das Licht über den Vitrinen war abgedunkelt, um die Originale auf Dauer nicht zu schädigen. Der Betrachter aber brauchte – ganz im Goetheschen Sinne – mehr Licht, um zu verstehen. Und er wünschte mehr Sinnlichkeit zum Verständnis für Goethes Werk.
Man darf gespannt sein, wie das neue Ausstellungskonzept mit seiner Pädagogik auf solche bürgerlichen, touristischen Wünsche eingehen wird. Zumal, wie mir scheint, die Debatte um Originalität durch die Realität schon wieder verdrängt wurde: Internet, unendliche Vervielfältigungsmöglichkeiten jeglicher Kunst, haben da längst Tatsachen geschaffen, auf die Ästhetik nur noch reagieren kann, aber kaum noch selbst agiert. Und der Nutzer musealer Angebote will heute im Museum eben eine Atmosphäre finden, die sich von der Vermittlung im trockenen Internet deutlich unterscheiden muss...

Antonia Woitschefski:
Wenn das Goethe-Museum zur Zeit nun geschlossen hat: Wie viel Goethe bietet da Weimar seinen Gästen noch?

Wolfgang Renner:
Es gibt ja noch das Goethe-Wohnhaus, das Gartenhaus, das Römische Haus und so weiter. Museumsbesuche sind also nach wie vor und vielfach möglich. Und es gibt auch eine gewisse Präsenz von Goethes Geist außerhalb der Museen, versteckt in vielen Winkeln der Stadt; dort, wo man ihn eigentlich gar nicht vermutet.
Vorige Woche ging ich mal hinüber in den idyllischen Garten hinter dem Herder-Haus. Ganz hinten, in einer Ecke, dort sprach mich eine Bank an. Tatsächlich. Die sprechende Bank lud mich zuerst zum Verweilen ein und bot dann Textpassagen aus verschiedenen Briefwechseln jener empfindsam genannten Zeit: Caroline Herder und Christiane Vulpius, Anna Amalia und Charlotte von Lengenfeld waren darunter. Und über die Texte, mit Blick auf den historischen Hausgarten, da wurde ein Hauch der Goethe-Zeit spürbar. Das war ein kurzer, aber sehr schöner Moment. Die Bank verabschiedete sich dann wieder von mir und empfahl: Kommen Sie doch wieder. Das nächste Mal wird es vielleicht ein paar andere Texte geben...
Für solche herrliche, wundervolle Ideen liebe ich Weimar...

Dann will ich noch auf eine wunderbare Ausstellung im Erdgeschoss der Anna- Amalia- Bibliothek hinweisen: Eine Reihe von Vitrinen mit kostbarsten Büchern: Die Schedelsche Weltchronik, eine alte Bibel, die man zur Reformationszeit handschriftlich korrigiert hat, bis hin zu Büchern aus dem Bauhaus. Und mittendrin: wieder Goethe. Zum Beispiel das Buch, welches Heinrich Heine an Goethe sandte, in der Hoffnung auf eine Beurteilung, - Goethe hatte ihm aber nicht geantwortet, das Buch jedoch – wohl vermerkt - in seine Bibliothek gestellt.
Auch diese Ausstellung kommt still daher, ist aber stets gut besucht – und wirklich zur Anschauung empfehlenswert.

Antonia Woitschefski:
Da hat sich Goethe nun doch nicht vollends versteckt, wie du eingangs befürchtet hast. Es gibt noch Projekte, die sich ihm widmen...

Wolfgang Renner:
Na klar; das kann wohl auch in Weimar nicht anders sein. Aber es sind dies doch Mosaiksteinchen, die ein Museum nicht ersetzen.

Am Sonnabend war Tag der Offenen Ateliers, da bin ich durch einige Künstlerquartiere gezogen. Und da trieb mich unter anderem auch deine Frage um: Wie viel Goethe bietet Weimar derzeit noch? In den Ateliers, in den neuen Büchern, in den Medien...?
Die gegenwärtige Kunst verweigert sich ihm aber weitgehend; man kann mit dem Alten nur wenig anfangen, eine Reibung an ihm findet derzeit kaum statt: Bei den Thüringer Buch-Tagen, von denen ich in der vergangenen Woche berichtete: Nichts dazu. Im Theater keine neue Premiere, nur über den Umweg von Gounods „Faust“-Oper blitzt Goethe noch einmal kurz auf. Und in der Medienwelt hat der Klassiker wohl gar keine Chance, irgendwie mal präsent zu werden. Dafür um so mehr in der Werbung: Neuerlich sogar als Schokoladenweihnachtsmann auf dem Weimarer Weihnachtsmarkt-Plakat...

Da fällt eine kleine Ausstellung in der Galerie am Markt 21 (C-Keller) schon ein wenig aus dem Rahmen. Kerstin Steiner und Daniel Twardowski haben ausgestellt: meist Aktdarstellung, farbige Stimmungen in verschiedenen grafischen Techniken. An einer Wand entlang zeigt man erotische Fotos, die mit handschriftlich überschrieben Texten versehen sind: Verse aus Goethes Römischen Elegien. Und das passt gut zueinander: Jene Darstellungstechnik, die Goethe noch gar nicht kannte und sein Text, der wiederum vortrefflich genug war, um als Folge daraus eine solche Freizügigkeit darzustellen. Diese wiederum hätte Goethe womöglich beschämt. Das sind Prozesse, die finde ich dann – nicht nur der Akte wegen - sehr reizvoll.

(Wolfgang Renner)

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