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Kulturrückblick

Kulturrückblick vom 29.09.2011

Clubkultur – förderbare Kunst oder Kommerz? - Shanghai Drenger:
Beim Kulturrückblick heute willst du uns vom Hamburger Reeperbahn Festival berichten. Was hat denn das Festival auf der Reeperbahn mit Weimars Kulturbetrieb zu tun?

Wolfgang Renner:
Das Reeperbahn-Festival ist ein Club-Festival, womöglich das größte seiner Art überhaupt: Live Musik, Beatles-Tour, Ska-Bus, Poster-Galerien, Theater, Filme, Shows, Street Art, knapp 50 geöffnete Clubs, DJs, Newcomer-Bühnen - mehr als 200 Bands sind dabei... Die Club-Szene ist im kreativ-wirtschaftlichen Sinne eine interessante Branche geworden. In Berlin, das allgemein hin als das Mekka der Party-Gänger gilt, nimmt diese unter den 11 als Kultur- und Kreativwirtschaft definierten Branchen bereits Rang 2 ein, gleich hinter den Architekten und noch vor Filmindustrie, Verlagen, Mode, Design und anderen solcher Praxisfelder.
Und während Berlin nun mit forscher Schnauze die Bedeutung seiner Szene in der ganzen Welt verkündet, beherbergt Hamburg solch eine Szene ganz wie selbstverständlich und so, als gäbe es diese schon immer; denken wir nur an den legendären „Star Club“, wo die Beatles ihre Karriere begannen, oder den „Cotton Club“, das „Birdland“, die „Kampnagel-Fabrik“, und nicht zuletzt eben die Reeperbahn selbst, oder ganz weit zurück zu Hans Albers und seiner Großen Freiheit...

Und jetzt, wo andere seit Jahren oder Jahrzehnten erfolgreich agieren, beginnt man auch in Thüringen darüber nachzudenken, ob von diesem Kuchen noch etwas abzubekommen wäre...

Shanghai Drenger:
Und? Welche Clubs in Thüringen oder in Weimar, denkst du, könnten so etwas noch schaffen?
Was überhaupt versteht man da unter einem Club?

Wolfgang Renner:
Clubs sind im Verständnis ihrer Protagonisten Musik-Spielstätten mit bis zu 2.000 Besuchern. In Hamburg oder Berlin wäre demnach die Weimarhalle, wenn sie Partys mit DJs oder Live-Musik anböte, bloß ein Club. Aber es sind eben auch solche Einrichtungen, wie Kasseturm, Schützengasse, C-Keller oder manche Stadtrand-Diskothek, selbst wenn sie nur viel kleinere Räume vorhalten können.
In Thüringen, da bleibt die Szene – vom „Kassablanca“ in Jena oder dem „Muna“ in Bad Klosterlausnitz bis zum „Centrum“ in Erfurt oder dem „Gleisdreieck“ in Waltershausen – doch recht überschaubar. Und man wird schnell feststellen, dass hier keine Konkurrenz für die Metropolen mehr wächst.

Im wirtschaftlichen Sinne sieht man bei der Club-Szene, neben ansprechend gestalteten Räumen, einer entsprechenden Image-Pflege und natürlich der Gastronomie, dann auch noch die Musikproduktionen und Labels, die gewerbliche Musikausbildung, den Instrumentenbau, Ton- und Lichttechnik, Werbedesign, man denkt an bestimmte Rundfunksender, die Vermarktung der Urheberrechte usw. usf.
Im kulturellen Sinne ist es natürlich die Kunst, Musik zu machen. Oder sagen wir besser im Falle der Club-Szenen: Musik zum Tanzen oder „Loungen“ zu machen.

Wenn wir Kultur dann in einem noch weiteren Sinne fassen, bekommt Club-Kultur auch Kriterien der Kommunikation und Begegnungsmöglichkeiten, eines speziellen Freizeitverhaltens
bzw. von spezifischen Musikwahrnehmungsweisen.
Aber das will ich jetzt nicht weiter vertiefen...

Shanghai Drenger:
Du warst demnach nicht zum Abtanzen auf der Reeperbahn in Hamburg, sondern zum Theoretisieren...

Wolfgang Renner:
Ja, das mit dem Abtanzen bis in den Vormittag hinein, überlasse ich gern Jüngeren. Aber neben der „Reeperbahn Music“ und den vielen Ausstellungen zur „Reeperbahn Arts“ gab es noch den „Reeperbahn Campus“ im Schmidts Tivoli-Theater. 1500 Gäste hatte man dazu geladen, aus 80 Ländern waren sie gekommen, um viele Themen rund um Clubs und Musik zu diskutieren. Und eine ganz spezielle Veranstaltung auf diesem Campus beschäftigte sich mit der Frage, ob man über die deutschen Bundesländer einen Verband für Musikspielstätten gründen sollte – einen Interessenverband gegenüber Wirtschaft, Medien und Politik und ein Netzwerk für den Erfahrungsaustausch untereinander. 11 der 16 Bundesländer haben sich daran beteiligt. Und bereits die Berichte zeigten äußerst unterschiedliche Entwicklungen in den Regionen: Während man in Berlin derzeit einen Schwerpunkt auf einen ökologischen Clubbetrieb mit Energieeffizienz und vehementem Streit mit Stromanbietern um günstige Nachtstromtarife führt, kümmert man sich in Hannover zuvorderst um eine gute Ausbildung von Musikern und Club-Künstlern. In Mannheim oder Würzburg finanzieren Städte oder Regierungsbezirke sogenannte Rock-Beauftragte als „Klassensprecher“ der Szene und in Essen hat man zur Kulturhauptstadt Europas 2010 als eines der nachhaltigen Projekte ein Netzwerk für das ganze Ruhrgebiet und darüber hinaus geschaffen: 1.200 Clubs beteiligen sich dort daran.

Shanghai Drenger:
Das ist dann doch schon ein Entwicklungsprozess, den man
(im wahrsten Sinne des Wortes) nicht überhören kann.
Muss man ein solches Netzwerk denn auch politisch zu verorten?

Wolfgang Renner:
Auf der Arbeitsebene sicherlich nicht. Aber im Grunde scheint mir die gesamte Clubkultur doch auch einen gewissen Geist in der Gesellschaft zu spiegeln: Es ist die Kulturpolitik selbst, die viele soziokulturelle Einrichtungen auf den kommerziellen Markt getrieben hat. Soziokultur und Club-Kultur hatten anfangs gleiche Wurzeln. Angefangen hat das Ende der sechziger Jahre mit der „Factory“ in New York, und solchen Akteuren wie Andy Warhol oder Lou Reeds „Velvet Underground“.
Soziokultur war einst vor allem in sozialdemokratischen und grünen Milieus zuhause – (mittlerweile ist das nicht mehr so; sie ist längst in allen parteipolitischen Richtungen präsent und in der Mitte der Gesellschaft angekommen). Plötzlich aber macht auch diese Clubkultur Furore, welche sich wirtschaftlich definiert, und trotzdem die Freizeitbedürfnisse vieler – nicht nur junger – Leute erreicht. Sie ermöglicht eigenwillige Musik- und Kommunikationsformen, bietet Räume der Kreativität und Entfaltung, vielleicht auch Geborgenheit all jenen, die sich bisher in keiner Form organisieren wollten.
Und vielleicht hat der Erfolg der Piratenpartei zuletzt bei den Berliner Wahlen den gleichen Grund gehabt, wie der Boom einer Clubkultur: und ist damit politischer Ausdruck all jener, die eben auch diese ungeordnete, mitunter chaotische, programmatisch arme, in den Aktionen aber sehr kreative Club-Szene als ihren kulturellen Ort gewählt haben.
Sicher, das ist ein gewagte These, - aber man kann darüber nachdenken...

Shanghai Drenger:
Merkt man von solchen Entwicklungen auch schon etwas in Thüringens Kulturszene?

Wolfgang Renner:
Hier hat sich die offizielle Kulturpolitik bisher wenig um diese Szenen gekümmert. Die existierten eben, wollten nichts vom Staat, und brachten bisher doch etliche Steuereinnahmen und Kassenbeiträge. Und bei all dem störten sie relativ wenig, – wenn man mal vom Lärm oder den gelegentlichen Koma-Trinkern absieht.
Ich sagte es schon: In Weimar beschränkt sich diese Szene in der Regel auf C-Keller und die Studentenclubs, ein paar studentische Initiativen und die Stadtrand-Diskotheken. Und die kommunizieren oft noch nicht einmal miteinander.
Ich behaupte jetzt einfach mal: Die Club-Szene in Weimar, und ganz Thüringen auch, gibt es nur ansatzweise. Sie ist im wirtschaftlichen Sinne nahezu uninteressant. Kulturell sind die Clubs aber sehr wichtig als kreative Orte und als Experimentierfeld für Newcomer-Bands und andere junge Künstler.

Shanghai Drenger:
Heißt das, es gibt hierzulande kein Interesse an solch einem bundesweiten Netzwerk? Ist Thüringen da zu sehr Provinz, um sich mit anderen Regionen auch nur annähernd noch verständigen zu können?

Wolfgang Renner:
Doch, ein Interesse besteht an einem Netzwerk durchaus.
Auch wenn wir Thüringer dabei nicht maßgeblich vertreten sein können, so braucht es doch das koordinierte Auftreten bei GEMA, zu Steuerfragen oder zum Veranstaltungstättenrecht. Überall gibt es bürokrokratische Hemmnisse für die Club-Betreiber, und daher nicht nur Lobby-, sondern auch Beratungsbedarf.
Aber man sollte hier in Thüringen wohl auch gut überlegen, ob diese Aufgaben nicht auch ein bereits bestehender Verband gleich mit übernommen werden kann. Da gibt es ja bereits einige, die sich doch längst auch um solche Fragen kümmern: Die LAG Soziokultur, die Thüringer Jazzclubs oder manche Rockmusiker-Initiativen tun es Nur, die einzelnen Satzungen schließen mitunter die Mitwirkung mancher anderer Gruppierungen aus. Da geht es um Fragen: kommerziell oder nicht kommerziell? Oder wer wird gefördert: Spielstätten oder Künstler etc.
Je mehr unterschiedliche Vertretungen es aber für ähnliche Anlässe gibt, desto unbedeutender und in der Wirkung ärmer werden sie.
Thüringen ist zu klein für eine zu große Verbandsvielfalt.

Shanghai Drenger:
… sagt Wolfgang Renner. Und das bringt er als Erfahrung vom Reeperbahn-Campus aus Hamburg mit. Dort trafen sich am Wochenende Musikspielstättenbetreiber zum Erfahrungsaustausch.

(Wolfgang Renner)

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