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Hörbuchrezension

Hörbuchrezension vom 07.09.2010

"Die 13. Stunde" von Richard Doetsch - Das Hörbuch beginnt mit einem kurzen geschichtlichen Blick auf eine antike Waffe und läßt uns anschließend drei Männern in einem Raum begegnen. Wenn man nun annimmt, Nick Quinn, der Hauptdarsteller, sei ein fanatischer Sammler, der hier ein einzigartiges Stück erwerben möchte, so liegt man falsch. Nick Quinn wurde verhaftet, weil er seine Frau ermordet haben soll - mit eben dieser Waffe, die er vorher noch nie gesehen hatte. Und er befindet sich in einer Vernehmungszelle. Auch die Annahme, bei dieser Szene handele es sich um eine Rahmenhandlung, erweist sich als falsch. Nein, hier endet die Geschichte nicht, hier beginnt sie und sie wird geradlinig erzählt - allerdings rückwärts. Und für Quinn wird es 13 Chancen geben, seine Frau zu retten. Wie geht das? Ist sie nicht tot?

«Die 13. Stunde» ist ein Thriller, also ein Krimi mit gesteigertem Angstfaktor. Das Buch gehört nicht zur Fantasy mit Elfen und Zauberstäben, was bedeutet, daß wir es mehr mit Logik zu tun haben als mit Mystik. Besagte Einstiegssituation ist kein Verwirrspiel mit vertauschten Toten, nein, Quinns Frau Julia ist wirklich tot und Quinn wird ungewollt stundenweise in der Zeit zurückversetzt - ein Thriller also mit Science-Fiction-Elementen. Und bald fragen wir uns, wie entstehen die Zeitsprünge? Ist es ein Spiel? Ein perfides Experiment? Quinn, unser Zeitreisender, wird schrittweise in die Regeln seiner Reise eingeführt, da gibt es einen Brief, den er von einem mysteriösen Unbekannten bekommt, dann eine Uhr - offenbar Teil des Reisemechanismus -, und einiges erkennt Quinn nach und nach sogar selbst. Von Kapitel zu Kapitel springen wir mit Nick Quinn - übrigens, lesen Sie den Namen spaßeshalber einmal rückwärts - stets zwei Stunden zurück und erleben eine von zwölf Stunden erneut und damit das Erzeugen (oder Löschen?) von alternativen Handlungssträngen. Die Zukunft, wie wir sie erlebt hatten, existiert kurz danach nicht mehr, weil sie dann/bereits/erst/wieder/schon/noch ungeschrieben ist.

Ich verkneife mir die spannende Frage: Was passiert mit den zurückbleibenden Personen im Weiteren, wenn wir mit Quinn die Handlung verlassen, um zwei Stunden früher wieder aufzutauchen? Hier wollte ich schon ein Problem aufdecken, was aber doch keines ist: Zwar erfahren wir manchmal von Ereignissen, die ins Leere laufen müssen, wir hören, daß Quinn erneut den Ort in Richtung Vergangenheit verlassen und eine neue Geschichte schreiben wird. Aber auf den zweiten Blick ist das kein Problem, denn wir wissen nicht, ob Quinn sein Ziel, den Lauf der Geschichte zu ändern, erreichen wird. Gelänge es ihm nicht, z.B. durch einen Verlust jener Uhr, so würde die Geschichte genau hier so weitergehen und ihren verhängnisvollen Lauf nehmen. Aber das wollen wir ja mitten im Hör- und Lesefluß nicht glauben, nicht wahr? Im Rückwärtsspringen also wird uns die Geschichte weitererzählt. Kürzlich Gestorbene sind nun wieder lebendig (besser: sie leben noch) und entwickeln sich zum eigentlichen Problem, das es zu lösen gilt - ganz klar: beim Showdown.

Zu Beginn meines Hörexperimentes kam mir die eröffnete Idee eines irgendwie technisch gemachten Zeitsprunges recht simpel vor für ein interessantes Buch - spielt die technische Lösung am Ende überhaupt eine Rolle? Bekommen wir eine Aufklärung? Natürlich möchte man es wissen. Besser aber, man erfährt keine Zeitmaschinenbaupläne , das Buch liefe Gefahr, auf Ramsch-Science-Fiction-Niveau herunterzufallen. Insgesamt erinnert die Story ein wenig an den Film Butterfly Effect - inclusive der Erkenntnis, daß, wenn man die Chance bekommt, Dinge noch einmal tun zu können, es hernach meistens nicht besser wird sondern schlechter.

Die Zeit ist eine schwierige Sache, vor allem, wenn man sie auf den Kopf stellt und sich auf Zusammenhänge von Aktion und Reaktion einläßt, diese gar über den Haufen wirft. Schnell verstrickt man sich in Widersprüche. Auf den ersten Blick scheint es dem Autor recht gut gelungen zu sein, die üblichen Paradoxa der Zeitreise zu vermeiden, bespielsweise, die eigene Existenz zu verhindern oder Gegenstände ohne erkennbare Herkunft auftauchen und in der Zeit verschwinden zu lassen. Aber «Zurück in die Vergangenheit», das bedeutet hier den Verlust der Unschuld des Augenblickes, denn Nick Quinn nimmt das Wissen über die Zukunft stets mit sich und handelt danach. Gelegentlich bleibt unklar, welche Gegenstände er dabei bei sich tragen darf und welche zurückbleiben müssen. Zumindest dieses Problem nimmt der Autor uns ab: Quinn selbst stellt sich Fragen nach den Zeit-Paradoxa und eben auch genau dann, wenn sie den Hörer zu beschäftigen beginnen. Es sind die ewig ungelösten Probleme der erdachten Zeitreise - und sie sind Richard Doetsch offenbar bekannt, ohne daß auch er sie lösen könnte.

Natürlich ist eine Rezension nicht der Ort, Zeitparadoxa zu diskutieren. Jedoch als längjähriger Science-Fiction-Leser kann ich es mir nicht verkneifen und komme zu einen wirklichen Problem: Richard Doetsch vermischt in seinem Buch «Die 13. Stunde» zwei theoretische Ansätze der Zeitreise miteinander: das tatsächliche Reisen mit der Möglichkeit, sich selbst begegnen zu können und das Zurückdrehen der Zeit mit einem In-sich-selbst-zurückkehren. So kehrt Quinn an Ort und Zeit nach dem zweiten Prinzip zurück, kann aber Gegenstände mitnehmen, die nach dem ersten Prinzip zweimal zugleich vorhanden sein können. Dieses Problem der Dopplung von Gegenständen offenbart sich gänzlich jedoch erst am Ende der Geschichte in einem relativ unnötigen und widersprüchlichen Epilog - bis dahin hätte man es durchaus verschmerzen können. Ebenso unentschieden zwischen beiden Prinzipien ist, daß Quinn mit seiner Erinnerung an die Zukunft in sich selbst Platz nimmt, wohingegen er stets (verständlicherweise) auf Menschen trifft, die keine «Erinnerung» an die Zukunft haben.

Ein paar weitere auffällige Schwächen möchte ich nicht verschweigen. So tritt, wie schon erwähnt, ein geheimnisvoller Fremder auf, und dieser Fremde verhält sich genau so, wie sich geheimnisvolle Fremde eben verhalten. Quinn erhält von diesem Fremden einen Brief, dessen Formulierungen unfreiwilllig komisch anmuten. Bei ungefähr der Hälfte der Geschichte verläßt der Erzähler die erlebende Linie des Nick Quinn und begibt sich auf die Ebene des Allwissenden. All das ist gerade noch verzeihlich, denn ebenso bei der Hälfte enthält der Text - beinahe einer lessingschen Ringparabel ähnlich - ein fast philosophisch tiefes Gleichnis vom Wert der Dinge für den Menschen. Nur leider versteht es keiner der Protagonisten.

Die gleichzeitig mit dem Buch erschienene Hörausgabe wird gelesen von Matthias Koeberlin. Das Vorlesen in verschiedenen Charakteren gelingt ihm sehr gut, von Frauenrollen bis zum albanischen Mafioso. Es gibt wenige Peinlichkeiten oder unglaubwürdige Akzente wie in vielen anderen Hörbuchproduktionen. Richard Doetsch, Firmeninhaber, Extremsportler, Musiker und Autor, beschreibt das amerikanische Leben von der knirschenden Kiesauffahrt bis zur ruppigen Polizeiarbeit mit sanften Klischees, eben so, wie wir es glaubhaft finden wollen und ohne etwas überzustrapazieren. Seine Sprache ist gut, sein Ausdruck gewählt, nichts erscheint mir übertrieben, blöd oder überflüssig - abgesehen von den für meinen Geschmack zu häufig erwähnten Automobilmarken. Sicher, die Reichen sind gut und schön, die Bösen fies und brutal. Und mit der entsprechenden Portion ganz, ganz, ganz gerechten Hasses gelingt es dem naiven Guten, das durchtrainierte Böse im Faustkampf niederzustrecken. Aber genau so ist die Welt eben gemacht, in der diese Geschichte mit genau diesen Figuren spielt. Und ehrlich, wem wäre geholfen, wenn das Fiese blendend aussähe und das Gute dick und schlampig?

Ganz ehrlich, ich mag weder Romanplots mit übel zugerichteten Toten noch reißerische Überschriften, die mir ein «einzigartiges Hörerlebnis» versprechen, jedoch die Idee hinter dem Buch machte mich neugierig. «Die 13. Stunde» von Richard Doetsch - zu Beginn hatte ich weniger erwartet als ich dann bekam. Nun, lesen würde ich das Buch mit Sicherheit nicht. Und das spricht für die gute Produktion und ihren Vorleser. Prädikat: «Bedingtes sehr gut».

(Charles Ott)

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